GASTKOMMENTAR: Auf die Straße!
■ Warum zeigen sich die Akteure der Asyldebatte nicht in Hoyerswerda?
Der Anlaß ist hochdramatisch, die öffentliche Reaktion von bleierner Monotonie. Als hätten sie alle einen gemeinsamen Ghostwriter für solche betrüblichen Anlässe, ähneln sich die Kommentare aus den politischen Hauptquartieren wie ein Ei dem anderen. Nicht anders im Blätterwald: Die 'Bild‘-Zeitung entdeckt in den randalierenden Skinheads die „braune Fratze“ und könnte damit auch im 'Neuen Deutschland‘ Ehre einlegen. In der Antwort auf die Frage: „Was tun?“ reicht die Palette der Vorschläge von überwiegend sozialarbeiterischen Varianten bis zur Bauplanung. Die einen stellen feinsinnig den direkten Zusammenhang von der Plattenbauweise über die Arbeitslosigkeit bis zur Nachtrandale her. Die anderen fordern die Kirchen und Jugendclubs auf, sich doch bitteschön des Problems anzunehmen.
Der sächsische Innenminister Krause (CDU) unterbreitet das unsägliche „Hilfsangebot“, für die Vertreter fremder Kulturen Lattenzäune aufzustellen, hinter denen sie deutsches Benimm-Dich einüben könnten. Währenddessen liegt ein ganzes Volk, die Ellenbogen aufgestützt, im Fenster und beobachtet im TV, wie ein Häufchen Bürgerrechtler einem Haufen rechtsradikaler Phrasendrescher und Steineschmeißer die Stirn bietet, während die Polizei notorisch zu spät kommt und die erhitzte Szene gelegentlich mit ein paar Wasserwerfern abkühlt. Nachtleben in Hoyerswerda — so hilflos kann Demokratie aussehen.
Die Hilflosigkeit aber ist selbstgeschaffen: ein klassischer Fall von politischer Selbstfesselung. Ausgelöst von den Bonner Zauberlehrlingen, die auf die grandiose Idee kamen, die flutende Sommerdebatte über die drohende Völkerwanderung mittels einer ausufernden Beängstigung der Bevölkerung mal eben durch das Nadelöhr einer Grundgesetzänderung des Asylrechts kanalisieren zu können. Die Hauptakteure der Hoyerswerdaer Gewalttaten fühlten sich offensichtlich heimlich kollektiv beauftragt, das Problem, das alle so heftig bewegt, mal eben mit ihren eigenen Argumenten auf die Straße zu tragen.
Alles nur fatale Mißverständnisse einer unbedarften Randgruppe? Wenn dem so ist, dann muß aber auch die Antwort auf dieses lebensbedrohende Mißverständnis eindeutiger ausfallen als bedenkliches Stirnrunzeln. Warum eigentlich sind Kurt Biedenkopf und Rita Süssmuth und Björn Engholm und Angela Merkel nicht längst schon in Hoyerswerda? Die Akteure der Sommerdebatte müssen auf die Straße! Schäuble und Stoiber und Lambsdorff und die Bischöfe Lehmann und Kruse nebst der schmucken und der ungeschmückten Reihe der Ministerpräsidenten: auf nach Sachsen!
Die westdeutsche Politik wollte den neuen Bundesländern Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bringen. Das muß jetzt sinnliche Qualität bekommen. Als in Frankreich jüdische Friedhöfe beschmiert wurden, war die gesamte Regierung mit Präsident Mitterrand auf der Straße, um es nicht Stellvertretern allein zu überlassen, ein paar historische Lehren öffentlich zu unterstreichen. Hunderttausende gingen mit.
Das ist das Schöne an der neuen politischen Lage seit dem Zusammenbruch der Systemkonkurrenz: Die Straße gehört nicht mehr nur der Opposition, der politischen Ohnmacht. Die neuen Freiheiten würden es durchaus ermöglichen, daß aus gegebenem Anlaß auch die politische Macht sich dort einstellen könnte. Übrigens, es gäbe auch einen Termin, an dem alle garantiert freihaben: am 27. September sollte das Gespräch im Kanzleramt über die Änderung des Asylrechts stattfinden. Es wäre nur eine kleine Änderung im Terminkalender — aber mit großer Wirkung: Sie würde öffentlich klarstellen, ob die politische Klasse dieses Landes nun eigentlich machtpolitisch von dem Ausländerhaß profitieren oder sich ihm deutlich sichtbar entgegenstellen will. Antje Vollmer
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen