GASTKOMMENTAR: Honecker muß zurück
■ Zur jüngsten Auseinandersetzung um die Überstellung des DDR-Repräsentanten
Um es ganz klar zu sagen: Es geht hier nicht um einen alten kranken Mann im Moskauer Exil, der als Antifaschist zehn Jahre im Zuchthaus war. Das ist ein Teil seiner Biographie. Der gleiche Mann war jahrzehntelang der oberste Verantwortliche und Repräsentant eines Unrechtssystems, nicht nur von der Sowjetunion Gnaden, sondern aus eigener Machtbesessenheit. Was er und andere in dieser Zeit anrichteten, mußte ihm sehr wohl bewußt sein, denn nicht die ganze Bevölkerung der DDR kroch vor Partei und Regierung auf dem Bauch. Wer die Stimmen des Widerstands und der Opposition mit nahezu allen Mitteln erstickte, ist von Verantwortung nicht freizusprechen.
Eine Menge anderer Herren wie Krenz und Schalck-Golodkowski müssen vor Gericht gestellt werden, aber nicht wegen des Griffs in die Portokasse. Mit Honeckers Rückkehr wird der Druck wachsen, endlich in Sachen Staats- und Regierungskriminalität konsequenter zu ermitteln und nicht rechtsstaatlich vor diesen Delikten zu kapitulieren. Verbrechen gegen die Menschlichkeit, organisierte Wirtschaftskriminalität und andere Kapitalvergehen sind justitiabel.
Auch die Verantwortlichen der alten Bundesrepublik müßten sich dann eine Reihe unbequemer Fragen stellen, denn sie haben dieses System lange genug begünstigt. Mit den Mitteln der Geheimdiplomatie und der konspirativen Kontaktpflege wurde die Stabilität der DDR künstlich verlängert und wurden die Kräfte der Veränderung ausgegrenzt. Auch die Vereinigung hat diesen Politikstil nicht verändert und die alten Verbindungen nicht aufgehoben. Immer neue Enthüllungen und Informationen aus den dubiosesten Quellen belegen dies, und bezeugen den Widerwillen der Politik, diese Praxis offenzulegen.
Ein Rechtsstaat, der probate Verfahren anbietet, wenn es um die Eintreibung von 2,50 DM über fünf Instanzen geht, aber vor organisierten Mafiabanden in den Etagen der Treuhand und anderswo kapituliert, macht sich lächerlich und verdient auf die Dauer seinen Titel nicht. Wolfgang Templin
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