GASTKOMMENTAR: Eine Folge schlechter Zeiten
■ Asyl und Exil sind keine ontologischen Größen — Standpunkt eines Betroffenen
Wenn man die Debatten in der Presse und im deutschen Fernsehen verfolgt, weiß man, welcher Stellenwert der Asylfrage auch in der Auseinandersetzung in und zwischen den deutschen Parteien zukommt. Das Volk diskutiert, es herrschen Unzufriedenheit und Ablehnung im Umgang mit diesen „unerwünschten Eindringlingen“. Als Folge erleben wir eine Zunahme lebensgefährlicher Angriffe auf Exilsuchende und deren Familien in vielen Städten Deutschlands. Bei vielen hat sich die Einstellung in Richtung Intoleranz und Rassismus gewandelt. Wie kommt es dazu?
Der Begriff „Asyl“ ist keine neue Erfindung. Asyl suchen heißt, seine Heimat aus verschiedensten Gründen zu verlassen, um sich in einem fernen Land in Sicherheit zu bringen. Krieg, politisch- wirtschaftliche Faktoren, die durch Diktatur entstanden sind, Völkertrennung, religiöse Segregation und andere Gründe können eine Rolle spielen. Unsere Geschichte zeigt, daß ganze Völker aus verschiedensten Gründen ihre Heimat verlassen haben. Zu biblischen Zeiten verließ das jüdische Volk Ägypten, während und nach den Weltkriegen sind viele Deutsche nach Amerika ausgewandert. Heute sind es Menschen aus anderen Ländern, die nach Deutschland fliehen. Im Grunde genommen ist Exil eine Folge schlechter Zeiten, die ein Volk erlebt. Exil ist keine ontologische Gegebenheit, sondern reflektiert einen politischen Zustand.
Bei uns in Zaire wird man es der Diktatur Mobutus zuschreiben, in Osteuropa wird man sagen, daß der Kommunismus daran schuld ist.
Einige der Ursachen kommen aber auch von außen, beispielsweise von einem mächtigen Land wie Deutschland. Deutschland und vor allem Belgien, Frankreich und Italien und die USA sind mitschuldig an der „Plage Asyl“. Ohne Mitleid haben diese Länder unsere emporkommenden schlechten politischen Systeme unterstützt. Sie sind die Pufferzonen der Ausbeutung. Nach dem Ende der Sklaverei hat sich in Afrika der Kolonialismus ausgebreitet, der Neokolonialismus wurde von westlichen Staatsmännern gefördert. Ein systematischer Raubbau an unseren Bodenschätzen wurde unter Zustimmung der afrikanischen Regierungen organisiert. Die afrikanischen Regierungen wurden dadurch gestützt und die dortigen Unrechtssysteme stabilisiert. Die Europäer wissen wenigstens, daß ihre Banken und Firmen das Geld gut anlegen, das afrikanische Regierungen investiert haben. Man sagt, daß Zaires Diktator Mobutu ein Privatvermögen von mindestens zwölf Milliarden US-Dollar besitzt. Wo ist dieses Geld, wenn nicht auf geheimen Konten in der Schweiz, in Deutschland, Frankreich, den USA etc.? Welcher europäische Staat hat sich offen gegen Mobutu gestellt?
Unsere Diktatoren bekommen von Deutschen, Franzosen und Amerikanern Waffen, um uns zu unterdrücken. Schließen Sie Ihre Waffenfabriken und stellen Sie sich anderen Herausforderungen!
Warum sind „Asyl“ und die „Asylanten“ ein so großes Problem für die Deutschen? Viele sind nur ungenügend informiert. Afrika ist nur bekannt über Äthiopien, das Hungersnöte zu bewältigen hat oder über die vom Krieg gebeutelten Ländern Liberia und Angola, über den in Südafrika herrschenden Rassismus und in jüngster Zeit über die Unruhen in Zaire. Die meisten Deutschen wissen nichts über die Art der Zusammenarbeit zwischen unseren Regierungen. Die politisch Verantwortlichen zeichnen ein schlechtes Bild von den Exilsuchenden. Die Regierung hat nichts zur öffentlichen Akzeptanz der Asylanten beigetragen. Die deutsche Presse klärt die Öffentlichkeit weder über die Ursachen des Krieges noch über die Aufstände auf. Die Schuld wird immer beim Volk gesucht, obwohl die Ursachen meist anderswo liegen.
Das Hauptproblem bei der Annäherung an das Problem Asyl in Deutschland ist, daß die politische Klasse auf der Unterscheidung zwischen den „wahren politischen Asylanten“ und den „Wirtschaftsflüchtlingen“ besteht. Nach dem Krieg war Deutschland am Boden. Viele sind nach Amerika ausgewandert. Der Krieg hatte auch eine desolate wirtschaftliche Lage mit sich gebracht, die nur durch den Marshall-Plan überwunden werden konnte. Wenn man wirtschaftliche und politische Gründe getrennt voneinander betrachtet, ignoriert man, daß sie immer zusammengehören. Ein schlechtes politisches System führt immer zu einer schlechten wirtschaftlichen Lage. Im Osten ist es der bis vor kurzem praktizierte Kommunismus, bei uns in Zaire ist es bis heute die Diktatur.
Sollten nicht endlich die Probleme sowohl der Diktatur als auch die der Demokratie politisch angegangen werden, damit letztlich die wirtschaftliche Situation sich verbessert? Muß nicht endlich die diplomatische Philosophie der Kooperation in den Beziehungen der Länder verändert werden?
Erst wenn die wahren Ursachen der Flüchtlingsproblematik beseitigt sind, werden die Exilierten wieder in ihre Heimatländer zurückkehren können, ohne Folter und Hunger fürchten zu müssen. Die Regierungen der reichen Länder müssen aufhören, Spenden in unsere Länder zu schicken, die dann doch in die Taschen unserer Diktatoren fließen. Die aktuelle Situation führt dazu, daß junge Menschen, die an der Entwicklung ihres Heimatlandes mitarbeiten können und wollen, in einem fremden Land zur Inaktivität verdammt sind. Für die Länder, aus denen die Flüchtlinge kommen, bedeutet dies einen enormen Verlust.
Wenn diese Situation Ihnen, „den Deutschen“ bedrohlich erscheint, sollten Sie an die vielen Menschen denken, die in den Gefängnissen sterben, an das entmündigte Volk, zum Beispiel an das zairische, das Hunger leiden muß. Nestor Lushimba
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