GASTKOMMENTAR: Wir wollen bleiben, wie wir sind
■ Die Grünen, Bündnis90 und die 90er
Am Wochenende ratifizierten die Grünen die Verlobung mit dem Bündnis90, nächstes Jahr soll Hochzeit sein. Aber von Lust auf die Braut war nichts zu spüren; es geht wohl mehr um die Mitgift — jene zehn Prozent des Bündnis90 im Osten, ohne die es keine Rückkehr der Grünen in den gesamtdeutschen Bundestag gibt.
Mit dem Wahlschock vom Dezember 1990 verblaßt auch der Ruf nach „Erneuerung“. Flügelübergreifend setzen die Strategen auf die passive Sanierung der Partei. Ruhe bewahren und von der Krise der anderen profitieren. Tatsächlich ist das politische Vakuum, das Kohl, Engholm &Co. produzieren, so groß, daß die Grünen fast ohne eigenes Zutun wieder in den Bundestag gewünscht werden. Es scheint, als könnte die Partei ihre Krise aussitzen. Entsprechend gering ist die Neigung, sich auf einen west-östlichen Lernprozeß mit offenem Ausgang einzulassen.
Der mit Händen zu greifenden Reserve gegenüber Personen und Positionen des Bündnis90, die nicht ins grüne Miljöh passen, entspricht die Weigerung, das eigene politische Inventar infrage zu stellen. Nicht zufällig wachte die Versammlung erst auf, als die Angst vor einem „Rechtsruck“, vor dem Verlust des systemoppositionellen Selbstgefühls durch die Berührung mit den gebrannten Kindern des Sozialismus beschworen wurde.
So lautet die heimliche Botschaft des grünen Parteitags „Ich will so bleiben, wie ich bin“. Auch die Ablehnung einer differenzierten Einwanderungspolitik und die Debatte um die Reform des Paragraphen 218 zeigten, wie weit Grüne und Bündnis90 noch voneinander entfernt sind: hie der selbstbezügliche Radikalismus grüner Parteitage, dort die Vorliebe für pragmatische politische Interventionen und konsensfähige Lösungen.
Die politische Landschaft ist im Umbruch, und die Erfolgsrezepte der achtziger Jahre taugen nicht mehr. Das gilt für die Grünen wie für die Volksparteien oder die ÖTV. Im Zusammengehen mit dem Bündnis90 liegt für beide Partner die Chance, auf die Höhe der gesamtdeutschen und europäischen Probleme zu kommen. Ihre Fusion auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner wird für die Rolle der parlamentarischen Opposition gegen eine große Koalition ausreichen. Wer den realistischen Anspruch auf 15 Prozent und Mitgestaltung der Republik anmelden will, muß mehr riskieren. Ralf Fücks
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