GASTKOMMENTAR: Ein Kontext als Mörder des Textes
■ Die SPD und neue Kampfaufträge der Bundeswehr
Die SPD ist eine komische Partei. In Sachen Kampfeinsätze der Bundeswehr außer zur Landesverteidigung und im Nato-Bündnis hat sie eigentlich gute Karten. Auf ihrem Parteitag in Bremen hat die SPD eine Auftragserweiterung für deutsche Soldaten strikt abgelehnt, wohl aber einen Mehrheitsbeschluß gefaßt, per Grundgesetzänderung eine Beteiligung an Blauhelm-Einsätzen im Rahmen der UNO zu ermöglichen. Die Verfassung ist auf seiten der SPD, wenn es um den Ausschluß militärischer Interventionen anderswo geht. Und die Bevölkerung auch: 44 Prozent befürworten Blauhelme, bewaffnete Friedenserzwingung unter UNO-Kommando aber nur 14 Prozent.
Die Regierung ist auf Konfliktkurs. In der „Petersberg-Erklärung“ hat sie sich verpflichtet, an einer WEU-Eingreiftruppe mitzuwirken, die im Zuge militärischer Krisenbewältigung „friedensschaffende Kampfeinsätze“ durchführen soll. Munter marschiert Bonn damit in Richtung des faktischen Verfassungsbruchs. Und was macht die SPD? Tatsächlich beschließt die Bundestagsfraktion brav und nach gründlicher Vorbereitung einen Entwurf zur Grundgesetzänderung, der nur Blauhelme zuläßt. Aber diese logische Konsequenz aus dem Parteitagsbeschluß wird durch einen Interview-Hagel der diversen außenpolitischen Sprecher der Partei nach den Motto eingenebelt: Hier stehen wir, doch woll'n wir anders! Norbert Gansel kriegt es fertig, der Presse den Blauhelm-Vorschlag als Alternative zur Regierungspolitik zu verkaufen, gleichzeitig aber selber pausenlos zu bekunden, er persönlich sei auch für Kampfeinsätze der Bundeswehr zu haben. Karsten Voigt erklärt, der nächste Parteitag 1993 sollte sich wenigstens für Kampfeinsätze unter UNO-Kontrolle entscheiden.
Kohl kann sich kaputtlachen. Er braucht bloß die Interviews zu zitieren, um den ehrlich gemeinten Eingrenzungsversuch der SPD auf Blauhelme lächerlich zu machen. Die Frage ist nur, wie lange sich das die Parteibasis noch gefallen lassen wird. Die Möglichkeit eines Sonderparteitages wächst. Die Delegierten werden sich vielleicht daran erinnern, was Björn Engholm in Bremen zur Out-of- area-Frage versprochen hat: „Wenn es einen Abgeordneten, weiblichen oder männlichen Geschlechts gäbe, der bei den Debatten über die Verfassungsreform von Beschlüssen dieses Parteitages abwiche, der wäre beim nächsten Mal mit Sicherheit politisch tot und nicht mehr dabei.“ Das Protokoll verzeichnet Beifall an dieser Stelle. Gernot Erler
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