GASTKOMMENTAR: Der Skeptiker und der Sündenbock
■ Einige konkrete Vorschläge zur Lösung eines drängenden Problems
Ein mißgünstiger Skeptiker könnte das Szenario der letzten Tage in der Bundesrepbulik als eine konzertierte Aktion deuten: In den Medien wird verstärkt auf die Gefahr der Überschwemmung Deutschlands durch eine Flut von Flüchtlingen hingewiesen. Bundesinnenminister Seiters, die CDU und die CSU drängen immer stärker auf eine Änderung des Artikel 16 des Grundgesetzes. Die Ultrarechte wirft vehementer als je zuvor mit rassistischen, ausländerfeindlichen Parolen um sich, und die SPD-Spitze trifft sich zu einer Tagung, auf der die Zustimmung zur Änderung des Grundrechts auf Asyl beschlossen wird. Und um den Beweis für die Richtigkeit aller Argumente und Maßnahmen zu liefern, starten im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen Neonazis und Skinheads, unterstützt und umjubelt von ein paar tausend Einheimischen, einen Anschlag gegen wehrlose Flüchtlinge in einem Asylbewerberheim.
Die Aktion war keineswegs spontan. Sie war von langer Hand geplant und sogar Tage zuvor öffentlich angekündigt. Polizei, Verfassungsschutz und die zuständigen Behörden hatten Kenntnis davon. Man hätte also durch ein entsprechendes Aufgebot von Ordnungskräften dem Treiben rasch Einhalt gebieten können. Das ist aber nicht geschehen. Der Skeptiker könnte daraus schließen, daß die Aktion eben tagelang andauern sollte, um die Gegner der Änderung des Grundgesetzes — aufgeschreckt durch den Volkszorn — zum Schweigen zu bringen.
Selbstverständlich haben sich die Politiker aller Schattierungen von den Ausschreitungen distanzert, manche haben sie sogar scharf verurteilt. Aber sie äußerten im gleichen Ton Verständnis für den Unmut der Bevölkerung. Ob beabsichtigt oder nicht, dies kommt einer Aufforderung gleich. Lassen wir nun den Skeptiker mit seinen zynischen Überlegungen allein und stellen die Frage, welche Schlüsse aus all diesen Ereignissen gezogen, welche Maßnahmen getroffen werden müßten.
Für die rund sechs Millionen in Deutschland lebenden Ausländer ist seit Hoyerswerda, spätestens aber seit dem vergangenen Wochenende klar, daß ihr Leib und Leben in diesem Land nicht mehr gesichert sind. Längst trauen sich viele abends nicht mehr auf die Straße. Wollte man tatsächlich dieser Unsicherheit entgegentreten, müßte man, wie in vielen westeuropäischen Ländern, ein Antidiskriminierungsgesetz erlassen und Zuwiderhandlungen hart bestrafen. Weiterhin wäre eine großangelegte, von Medien unterstützte Aufklärungskampagne gegen Fremdenfeindlichkeit in Gang zu setzen, so ähnlich wie die um die Hilfe für die Hungernden in Rußland. Die hier lebenden Ausländer müßten die Chance zu einer wirklichen Integration erhalten. Dazu müßten ihnen die erforderlichen Rechte wie das kommunale Wahlrecht gewährt werden. Auch die Gewährung der doppelten Staatsangehörigkeit würde viele Ausländer aus ihrem Ghettodasein befreien.
Selbstverständlich muß man die Ängste der Bevölkerung ernst nehmen und gangbare Lösungen zum Problem der zunehmenden Zahl der Flüchtlinge anbieten. Die Abschaffung des Asylrechts oder seine Änderung bieten keine Lösung. Das sieht auch jeder Politiker ein, der redlich ist.
Die Lösung liegt vielmehr darin, daß man erst einmal nicht alle Ausländer, die nach Deutschland kommen, in einen Topf wirft und sie als Scheinasylanten, Wirtschaftsflüchtlinge, Lügenasylanten tituliert. Es gibt Menschen, die nach Deutschland kommen, um sich hier niederzulassen. Man muß endlich zugestehen, daß Deutschland ein Einwanderungsland ist und die Einwanderer auch braucht. Für diese Gruppe muß ein Einwanderungsgesetz erlassen werden.
Zweitens gibt es die Gruppe von Menschen, die aus Kriegsgebieten kommen und vorübergehend in Deutschland Zuflucht suchen. Sie bilden den größten Anteil unter den Flüchtlingen. Für diese Gruppe muß eine Sonderregelung getroffen werden. Damit würde sich die Zahl derjenigen, die sich bei ihrer Einreise in Deutschland auf das Recht auf Asyl berufen, erheblich reduzieren. Dies wären einige allgemeine Richtlinien, die man zu einer ernsthaften Lösung des Flüchtlingsproblems in Betracht ziehen müßte. Vermutlich würde unser Skeptiker bei allen diesen Vorschlägen nur zynisch lächeln. Es geht doch gar nicht um die Lösung des Problems, würde er sagen, sonst würde man nicht jahrelang um den heißen Brei herumreden und Stimmungen erzeugen, sondern endlich die nötigen und vernünftigen Maßnahmen einleiten. Man braucht eben einen Sündenbock, das sind nun mal die Ausländer. Bahman Nirumand
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen