■ GASTKOMMENTAR: Generalmusikfiasko
Die Psychologie eines Staatsorchesters ist schwer zu begreifen. Einerseits sitzen da dickärschig und hartmäulig lauter gutbezahlte Musikbeamte, die ihre Dirigenten cool ins Leere wedeln lassen, andererseits haben die gleichen Leute ein starkes musikalisches Erlösungsbedürfnis. Und wollen von einem wirklichen Maestro aus provinzieller Niederung auf philharmonische Gipfel getrieben werden. Wenn es dazu kommt, zählt keiner mehr die Stunden.
So mittelmäßig das kulturelle Format – und nicht nur das – in Bremen sein kann, die Bremer Generalmusikdirektoren sind immer wenigstens nationale Spitzenklasse gewesen: Schnakenburg, Wallat, Michael, Schneider, Steinberg und auch Viotti, um nur einige zu nenen. Top-GMDs sind hier Tradition. So ist verständlich, daß das Orchester, anders als offiziell verlautbart, die Kandidatin Simone Young partout nicht will.
Natürlich sind gute Leute oft unterwegs. Und ihr Dienstvorgesetzter muß sie schon öfters persönlich an die Kandare nehmen. Sonst pflegen sie nur noch eigen' Ruhm und Kasse anstelle des Orchesters. Qualität kostet Nerven. Wer aus der Aushäusigkeit Viottis den Schluß zieht, nun brauche man jemanden, der nicht verführt wird fremdzugehen, hilft keinem. Höchstens dem Finanzsenator. Der liegt seit vielen Jahren auf der Lauer, das Orchester endlich herabzustufen, um Stellen zu streichen.
Große GMDs sind bislang immer die besten Bündnispartner im Kampf gegen die Sparbeschlüsse gewesen. Wer sich aber, wie Simone Young, in wiederholten Anläufen und ohne echte Konkurrenz nach Bremen robbt, ist schwach von Anfang an.
Wir haben früher ohne Ausschreibung immer wenigstens ein halbes Dutzend vorzüglicher Kandidaten gehabt. Was ist passiert, daß jetzt nur Verlegenheit im Lade herrscht? Dabei wäre es nötiger denn je, mit einem großen GMD die Philharmonie zu stärken. Wenn Bremen am Ende zwei Spitzenorchester finanzieren muß, gibt es Verteilungskämpfe. Dann muß das Staatsorchester gut gerüstet sein.
Man muß sehen, wie diese ausgefuchsten Philharmonisten verklärte Blicke und Wahnsinnsbogenstriche kriegen, wenn Schneider dirigeirt. Dann weiß man, was sie und die Bremer brauchen. Jedenfalls keine zweiten Anläufe von Simone Young. Das ist auch nicht mehr originell, das ist nur noch peinlich. Horst Werner Franke, Kultursenator a.D.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen