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GASTKOLUMNE"Humanität um fünf vor zwölf"

■ Der niedersächsische Minister für Bundesangelegenheiten, Jürgen Trittin, verteidigt die Bleiberechtsregelung für "De-facto-Flüchtlinge"

Es ist Vorwahlzeit: In der Bundesrepublik wird über Flüchtlinge diskutiert. Die von Oskar Lafontaine im Sommer angestoßene Diskussion hat sich zum Wahlkampfschlager der Union entwickelt. Und während die einen über „Scheinasylanten“ schwadronieren, das Bundesverfassungsgericht das Volk als ausschließlich deutsches definiert, gehen Skins in der ehemaligen DDR jeden Abend auf „Fidschi- Jagd“.

Die niedersächsische Landesregierung hat hierzu einen scharfen Kontrapunkt gesetzt. Am 18. Oktober trat ein Erlaß in Kraft, der rund 14.000 Asylbewerbern und 6.000 sogenannten „De-facto-Flüchtlingen“ ein dauerndes Bleiberecht ermöglicht. Auf Antrag erhalten die Betreffenden eine Aufenthaltserlaubnis, die nach Inkrafttreten des neuen Ausländergesetzes am 1.1.1991 in eine Aufenthaltsbefugnis umgewandelt wird. Nach diesem Datum werden solche Regelungen nicht mehr möglich sein. Ab 1991 ist der Bund für Abschiebungen zuständig. Niedersachsen praktiziert so 5 vor 12 ein Stück Humanität gegenüber Flüchtlingen.

Unter die Bleiberechtsregelung fallen all jene niedersächsischen Flüchtlinge, „die unabhängig von ihrem Aufenthaltszweck wegen der Verhältnisse in ihrem Heimatland (politische Verfolgung, menschenrechtswidirige Behandlung, geschlechtsspezifische Benachteiligung, Kriegs- und Bürgerkriegszustand, Naturkatastrophen, Hungersnöte oder vergleichbare schwerwiegende Gründe), ...deren Aufenthalt aus rechtlichen, tatsächlichen oder humanitären Gründen nicht beendet worden ist“. Voraussetzung hierfür ist, daß sie sich länger als fünf Jahre in der BRD oder der damaligen DDR aufgehalten haben, oder daß „sie Staatsangehörige der Staaten Afghanistan, Albanien, Irak, Iran, Libanon oder Sri Lanka, Palästinenser oder Kurden aus dem Libanon, Christen oder Jeziden aus der Türkei sind“, so der Erlaß.

Aus der Aufzählung wird deutlich: Das Bleiberecht will all jenen einen gsicherten Status geben, die entweder bereits sogenannte „De-facto-Flüchtlinge“ sind oder die es mit Sicherheit werden. Hinter diesem Wortungetüm verbirgt sich jene Gruppe von Flüchtlingen, die, obwohl nicht als politisch Verfolgte anerkannt, dennoch in der BRD verbleiben. Während aufgrund einer immer restriktiveren Rechtssprechung lediglich rund 3 Prozent der hierher Fliehenden als politisch verfolgt anerkannt werden, so wurden und werden knapp die Hälfte der Flüchtlinge in Niedersachsen nach erfolglosem Abschluß des Asylverfahrens nicht in ihre Heimatländer abgeschoben.

Bisher konnte dieser Personenkreis mit einer jeweils halbjährlich befristeten „Duldung“ hier bleiben. Das während des Asylverfahrens gegen die Menschen exekutierte Arbeitsverbot wirkte so faktisch weiter. Die Hürden der ausländerfeindlichen Bestimmungen im Arbeitsförderungsgesetz mit einer Duldung zu überwinden, waren fast unüberwindlich. Diese Flüchtlinge lebten so in Ungewißheit und waren von der Sozialhilfe abhängig.

Gleichzeitig führte der Staat mit einem gehörigen Aufwand tausende von Asylverfahren durch, blockierte ganze Zweige der Verwaltungsgerichtsbarkeit für Menschen, die unabhängig von diesem Verfahren sowieso hierbleiben. Diesem Unsinn hat die Bleiberechtsregelung fürs erste ein Ende gesetzt.

Gegen diese Regelung hat sich jedoch unter Federführung der kommunalen Spitzenverbände und mit der CDU als Verstärkerin eine landesweite Kampagne entwickelt. Während die drei Asyl-Senate des Oberverwaltungsgerichts ihren Klägern die Wahrnehmung der Regelung empfahlen, entdeckten Kreise und Städte hiergegen plötzlich rechtliche Bedenken. Dies ging soweit, daß Hauptverwaltungsbeamte in Lüneburg wie Göttingen die Nichtbearbeitung von Anträgen androhten. Gleichzeitig stapeln sich in vielen Ausländerbehörden die unbearbeiteten Anträge.

Die Ankündigungen nachgeordneter Behörden, Weisungen nicht auszuführen und damit Rechtsbruch zu begehen, hatte weniger rechtliche als materielle Ursachen. Während das Land die Kosten für Flüchtlinge im Asylverfahren erstattet, müssen die örtlichen Träger der Sozialhilfe die Kosten für geduldete und befugte Ausländer selbst aufbringen. Obwohl das Land die Kosten für aus dem Verfahren aussteigende Flüchtlinge, die das Bleiberecht in Anspruch nehmen, für 15 weitere Monate erstatten wird, war dies vielen nicht genug.

Vor dem Hintergrund der knappen Zeit bis zum Jahresende versuchten die kommunalen Spitzenverbände, dem Land den Einstieg in die Finanzierung der „De-facto-Flüchtlinge“ abzutrotzen. Diesem versuchten „Kleinputsch von unten“ wird die Landesregierung sich nicht beugen. Der Innenminister hat den Betreffenden mit rechtlichen Maßnahmen gedroht.

Nachdem durch die kleinkrämerische Pfennigfuchserei eine neue Neidkampagne gegen die Flüchtlinge in Niedersachsen losgetreten wurde, gilt es nun zu verhindern, daß ein sicherer Status für die Flüchtlinge den Finanzstreitigkeiten der Kreise und Städte dem Land zum Opfer fällt.

Es ist fünf vor zwölf, auch in Bremen, wenn mir dieser nachbarschaftliche Hinweis erlaubt sei.

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