GARTENLIEBE IST KAPITALISMUSKRITIK. ABER BLOSS BRANDENBURGER SANDMÖHREN ESSEN IST KEINE LÖSUNG : Landlust ist albern
JULIA SEELIGER
Garten ist in, Garten ist beliebt. In diesen unübersichtlichen Internetzeiten. So jubilieren große Zeitungen und Fernsehsender. Gartenwahn!
Anke Domscheit-Berg von der Piratenpartei ist auskunftsfreudig, was ihren Garten betrifft. Bei Facebook lässt sich nachvollziehen, wann Domscheit-Berg mal wieder in der Erde gewühlt hat und ob sie es genossen hat, Bäume mit Strickschals zu umwickeln. In einem Zeit-Porträt über das Paar Domscheit-Berg, „das Politpaar unserer digitalen Zeit“, ist zu lesen, dass „in diesen Zeiten“ Autarkie wichtig sei. Deswegen hätten Domscheit-Bergs auch einen Gemüsegarten.
Vor solchen Zeiten fürchte ich mich, ehrlich gesagt, ein wenig. Eigentlich dachte ich, wir leben in modernen, vernetzten Zeiten. Alles zerfließt, Computer, Menschen, Skripte: wir werden eins. Autarkie hört sich nach Einsiedelei an. Das passt doch nicht!
Und ich schätze Supermärkte wirklich. Auswahl ist was Tolles. Ich finde es gut, nicht alles selbst machen zu müssen, Arbeitsteilung ist an sich eine gute Idee. Ich will mich nicht von brandenburgischen Sandmöhren ernähren oder wochenlang Tomaten essen, weil die nun mal gerade da sind.
Nun twittert mich Anke Domscheit-Berg an, ein Salatfoto, garniert mit dem Text „tonight we have self grown salad for dinner. In your face, supermarkets!“ Es ist fast so, als würden sich die Gartenfans wünschen, dass die Amerikaner doch lieber den Morgenthau-Plan durchgezogen hätten.
Landlust ist albern. Gartenliebe ist regressive Kapitalismuskritik.
Klar, Kapitalismus ist auch doof – ungleicher Lohn, Umweltverschmutzung, Stress am Arbeitsplatz. Burnout. Zu wenig Geld oder zu viel Arbeit. Gerade jetzt in der Krise macht der Kapitalismus nicht gerade einen vertrauenswürdigen Eindruck.
Da wollen viele einfach nur weg. Der Garten als Übersprungshandlung. Das neue Biedermeier. Für Ausgebrannte, die eigentlich Probleme in ihrem Leben lösen sollten. Oder eben Probleme als Normalität anerkennen. Die Probleme des Kapitalismus, die sollte man hingegen kritisieren und angehen. Für die kann man selbst ja nix und da muss mal mehr gemacht werden.
In den Garten flüchten ist auch keine Lösung.
Gewiss beackert man seine Scholle dort, wo es kein Handynetz gibt, erledigt sich zumindest das mit der Informationsüberflutung von selbst. Für kurze Zeit. „Ich bin dann mal weg“ – okay. Und nach ein paar Tagen bist du dann eben wieder da. Alles wie zuvor. Glückwunsch!
Donnerstag Josef Winker Wortklauberei Montag Kübra Gümüsay Das Tuch Dienstag Deniz Yücel Besser Donnerstag Ambros Waibel Blicke Montag Barbara Dribbusch Später
Das Smartphone ganz wegzuwerfen, das wäre dann ein Update des angegammelten Spruchs „Mach deinen Fernseher kaputt“. Der ist längst überholt und hilft auch fürs Smartphone nicht weiter.
Abgrenzen, ignorieren, blocken. Der Zaun im Kopf. Im Netz hilft da Software, man kann seine innere Freiheit outsourcen und muss sich nicht sein eigenes Gehirn mit den Problemen vollmüllen. Schöne neue Computerwelt!
Gegen die Übel des Kapitalismus, da hilft Ignorieren nicht. Und der Garten, der ist da nur Opium fürs Volk.