GALERIE FÜR MODERNE FOTOGRAFIE : Im Angesicht der Tradition
In den fotografischen Collagen und Assemblagen von Branimir ergreifen Ornamente Besitz von den Gesichtern. Augen, Nase, Mund, also die Wiedererkennungsmerkmale der Persönlichkeit, sind ersetzt durch grafische Muster aus schimmernden Perlen und glitzernden Strasssteinen. Identität und Charakter sind ausgelöscht, trotzdem wirken die Bilder noch wie Porträts. Aus den Posen kann man Bedeutungsreste ablesen, während zur Entschlüsselung der Muster ethnografisches Spezialwissen nötig ist. Denn die 1969 im kroatischen Zagreb geborene Vesna Barišić, die sich hinter dem Pseudonym Branimir selbst wie hinter einer Maske verbirgt, greift in ihrer Serie „pinAnon“ auf typische Bekleidungstraditionen in Dalmatien zurück. Die Muster und Farben, die Stoffe und Materialien der handwerklich hergestellten Trachten sind nämlich kodiert: Rot kennzeichnet beispielsweise junge Frauen im Heiratsalter, während Weiß bereits auf die Altersweisheit verweist. Das Modelabel Maison Martin Margiela bediente sich bei einer Fashionshow für die letzte Herbst-/Winterkollektion einer ähnlichen Verschleierungstaktik und schickte seine Models mit geheimnisvollen Masken auf den Pariser Laufsteg. An der Schnittstelle zwischen bildender Kunst, Mode und Kunsthandwerk werden hier wie dort nicht nur Fragen nach der Veränderung oder dem völligen Verschwinden von Traditionen gestellt, sondern wie sich dieser Wandel in der Konstruktion von Identität ausdrückt. WOE
■ Branimir: „Repetition“. Bis 8. März, Do.–Fr., 12–18 Uhr, außerdem nach Vereinbarung, Schröderstr. 13