piwik no script img

Fußgänger im VerkehrAuf die Plätze, fertig, los!

Fußgänger haben es im Vergleich zu anderen Verkehrsteilnehmern schwer. Ein besonderes Ärgernis sind Ampeln. Der taz-Test zeigt: Oft kommen nur Sprinter bei Grün über die Straße. Senat verspricht Besserung.

Los geht`s: Bei manch einer Ampel in Berlin muss man sich beeilen. Bild: RTR

Eine der fußgängerfreundlichsten Metropolen Europas soll Berlin bis zum Jahr 2040 werden - so jedenfalls hat es Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) jüngst angekündigt. Immerhin werden 28 Prozent aller Wege in der Stadt zu Fuß zurückgelegt, der Anteil soll den Prognosen zufolge stabil bleiben. Tatsächlich aber fühlen sich viele Fußgänger als Verkehrsteilnehmer zweiter Klasse: Sie werden an den Rand gedrängt, übersehen, ihr Vorrang wird an Zebrastreifen und Ampeln missachtet; bisweilen müssen sie an Kreuzungen absurde Umwege laufen, um den Fluss des Autoverkehrs nicht zu stören.

Ein prominentes Ärgernis in Berlin sind die Schaltzeiten von und Wartezeiten an Ampeln. An zahlreichen Stellen in der Stadt ist es für GeherInnen in Normalgeschwindigkeit nicht möglich, eine mehrspurige Straße in einem Rutsch zu überqueren - selbst an stark frequentierten Punkten wie am nördlichen Ausgang des Hauptbahnhofs: Wer die Invalidenstraße von Nord nach Süd queren will, also zum Bahnhof hin, kommt nur bis zur Mittelinsel.

Während einer mehrstündigen Beobachtung tagsüber an einem Wochentag gelang es einzig einem Jogger, der sich während der Rotphase in Position brachte und beim Umspringen auf Grün lossprintete, in einem Rutsch und elf Sekunden zum Bahnhofsvorplatz zu gelangen. Die anderen, von Norden kommenden Passanten warteten allesamt auf der Mittelinsel etwa eine Minute und 20 Sekunden. In dieser Zeit schoben sich die Autos dicht an dicht vorbei; wegen der unübersichtlichen Baustelle vor dem Bahnhof geht es nur langsam voran, eigentlich herrscht immer Stau. Die Fußgänger warten in einer Wolke aus Autoabgasen.

Die etwa 2.000 Berliner Ampeln sind nach bundesweitem Standard geschaltet. Der Senat geht davon aus, dass Fußgänger 1,2 Meter pro Sekunde beziehungsweise 4,3 Kilometer pro Stunde gehen. Für eine zwölf Meter breite Straßen brauchen sie also zehn Sekunden. Die Verkehrslenkung Berlin (VLB) ist im Auftrag des Senats für Lichtsignalanlagen zuständig. Ihr zufolge sollen Passanten in der Regel mindestens zwei Drittel der Straße überqueren können, bevor die Ampel auf Rot springt.

Vor Seniorenheimen oder Krankenhäusern rechnet die VLB mit einer Geschwindigkeit von nur einem Meter pro Sekunde. Allerdings sind überall in der Stadt Senioren unterwegs, die sich langsameren Schritts fortbewegen, ebenso Eltern mit Kinderwagen. Am Hauptbahnhof stehen an den Ampeln meist Reisende mit Koffern. Auch für sie ist das von der VLB angesetzte Tempo deutlich zu hoch.

Die Behörde erklärt auf Nachfrage zum Problemfall Hauptbahnhof, Warten auf der Mittelinsel sei die Ausnahme. Warum gerade die für Reisende, Pendler und Touristen so wichtige Ampel zur Geduldsprobe wird, kann die zuständige VLB-Referatsleiterin Claudia Schiewe nicht erklären. "Wir versuchen, ein Queren ohne Warten auf der Mittelinsel zu ermöglichen", sagt sie. Das funktioniere aber nicht immer.

"Je länger die Grünzeit ist, desto länger muss die Grünzeit für alle betragen - also auch im Gegenzug für die Autos", gibt Schiewe zu bedenken. Indes: Das Beispiel Hauptbahnhof zeigt, dass das Kräfteverhältnis ohnehin ungleich ist. Autofahrer haben an der hinteren (nördlichen) Ampel siebenmal so lange Grün wie Fußgänger.

Am Hauptbahnhof kann man es im günstigen Fall wenigstens in einer Richtung - vom Bahnhof weg - auf die andere Straßenseite schaffen. Häufig ist das in keiner Richtung möglich. Die Ecke Manstein-/Goeben-/Yorckstraße ist so ein Fall, es handelt sich um einen Übergang mit Mittelinsel. Beide Teilampeln sind genau neun Sekunden Grün geschaltet. Wer beim Umspringen losläuft, quert die erste Furt - und steht dann vor einer roten Ampel. An der stark befahrenen, vierspurigen Straßen warten die Fußgänger etwa 45 Sekunden bis zur nächsten Grünphase. Es sind gefühlte Stunden inmitten der Querverbindung von Schöneberg nach Kreuzberg, in denen Autos und Lastwagen vorbeidonnern.

VLB-Mitarbeiterin Schiewe verweist darauf, dass die Schutzzeit zwischen dem Umspringen der Fußgängerampel auf Rot und dem Anfahren der Autos die eigentlich wichtige Spanne sei. Ein Passant mit einer Geschwindigkeit von 1,2 Meter pro Sekunde muss die gesamte Straßenbreite in dieser Zeit bewältigen können. "Selbst wenn man in der letzten Schutzsekunde die Straße überquert, kann man noch gehen", sagt Schiewe.

Ein Praxisbeispiel indes widerlegt dies: Wer die stark befahrene Turmstraße auf Höhe Lübecker Straße überqueren möchte, muss ohnehin entweder rennen oder warten. "Ohne Laufschritt kommt man nur bis zum Mittelteil", empört sich eine junge Mutter, die mit ihrem Kinderwagen auf der Hälfte der Strecke warten muss. Auf die Schutzzeit kann sie nicht bauen: Nachdem die Fußgängerampel auf Rot gesprungen ist, dauert es taz-Messungen zufolge nur fünf Sekunden, bis die Autos wieder anfahren. Die Spur bis zur Mittelinsel ist etwa zehn Meter breit. Die VLB verweist auf Nachfrage darauf, dass die Rot-Gelb-Phase der Autofahrer noch als Schutzzeit für Fußgänger gewertet werde und zwischen Haltestreifen und Fußgänger meist auch noch zwei, drei Meter lägen - all das müsse berücksichtigt werden.

Fraglich ist aber, wie viele abbiegende Autofahrer diese Schutzzeit kennen. Wenn bei rotem Fußgängerlicht noch Menschen auf der Fahrbahn sind, schimpfen sie gern und hupen, obwohl die Fußgänger noch bei Grün losgelaufen sind. Und das ist noch die harmlose Variante: Immer wieder werden Menschen bei solchen Situationen angefahren. Wie viele genau, ist unklar: Die polizeiliche Unfallstatistik weist diese Unfälle nicht gesondert aus.

Die Fußgänger-Lobbyverband Fuß und die Grünen fordern seit Jahren, die Verkehrstakte stärker an den Langsamsten auszurichten. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung will dem teilweise Rechnung tragen und im kommenden Jahr eine Fußverkehrsstrategie verabschieden. Etwa 20 Millionen Euro sollen bis 2020 in den Fußverkehr fließen, zum Beispiel für die Absenkung von Bordsteinkanten. Im Zuge dieser Strategie sind Tests mit fußgängerfreundlichen Ampelschaltungen geplant. Denkbar ist, dass das Grünlicht kurz vor Ablauf blinkt oder die Rotphase zu Anfang.

Letztlich werden Fußgänger dadurch aber nur besser gewarnt. Mehr Gewicht im Kräfteverhältnis auf der Straße erhalten sie nicht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

3 Kommentare

 / 
  • T
    tanja

    Vielen Dank, dass Sie das Thema ansprechen! Ich hatte selbst schon überlegt, mich zu beschweren. Als unter 30jährige Fußgängerin ist es mir nicht möglich, bei grün (bei mehreren Straßen) auf der anderen Straßenseite anzukommen. Wird es rot fahren, drängeln, stinken und hupen die AutofahrerInnen vorbei. Von einer Schutzzone zu sprechen ist zynisch.

  • A
    Andreas

    Auch ganz furchtbar: Am Treptower Park / Puderstraße. An der Fußgängerampel wartet man mehrere Minuten bis es Grün wird. Besser ist es nicht zu drücken und zu warten bis auf der Einbahnstraße(!) genug Platz ist, um rüber zu gehen. Dann behindert man auch den Straßenverkehr nicht, denn die Ampel wird für die Autos ja irgendwann rot und blockiert. Ein Mensch ist da kompetenter zu sehen, wann er rüber kann, ohne jemanden aufzuhalten.

  • E
    EnzoAduro

    Eine große Stadt ist eine schnelle Stadt.

    Also, egal ob jung und alt: Rauf aufs trimmrad!