Fußball-Spiel Deutschland-Türkei: Der türkische Maradona
Emre drückt dem türkischen Spiel seit über einem Jahrzehnt seinen Stempel auf. Für Özil zeigt er Sympathie: "Er soll weiter erfolgreich sein - außer im Spiel gegen uns."
BERLIN taz | Ömer Erdogan muss noch immer schmunzeln, wenn er an seine erste Begegnung mit Guus Hiddink denkt. Mit der Frage "He, Youngster, wie geht's?" begrüßte ihn der erfahrene Trainer aus Holland vor vier Wochen im Kreis der türkischen Nationalmannschaft.
Beide lachten über die Ironie, denn Ömer Erdogan ist der älteste Spieler im Kader der Milli Takim, er ist 33 Jahre alt. Doch erst vor vier Wochen debütierte der Kapitän des türkischen Meisters Bursaspor in der türkischen A-Auswahl.
Gegen Deutschland in Berlin wird der in Kassel geborene Spätstarter diesen Freitag erst seinen dritten Einsatz für die Türkei bestreiten, keiner im Kader hat weniger. Und während der alte Ömer aus "Alamanya" also das jüngste Gesicht des türkischen Fußballs auf internationalem Parkett ist, steht im aktuellen Kader kein Akteur länger im Fokus als Emre Belözoglu - und keiner vereinigt die Verheißungen und Verzweiflungen des türkischen Fußballs so sehr wie Hiddinks Kapitän.
Seit Galatasaray Istanbul Ende der 90er Jahre unter dem Trainer Fatih Terim internationale Erfolge feierte, prägt der mittlerweile 30 Jahre alte Emre den Fußball in seinem Land. Schon mit 17 debütierte er für Galatasaray im Europacup, gewann mit dem Klub von 1997 bis 2000 viermal hintereinander die türkische Meisterschaft und 2000 den Uefa-Cup. Gheorghe Hagi, rumänischer Ballzauberer bei Galatasaray, erklärte Emre einst zu seinem Nachfolger.
Der kleine Techniker war einer der besten Spieler der WM 2002 in Japan und Korea, die die Türken überraschend als Dritter beendeten, er spielte sieben Jahre lang im Ausland bei Inter Mailand und Newcastle United, bevor er 2008 zurück in die Türkei zu Fenerbahce wechselte. Aber Emre Belözoglu steht auch für all die negativen Auswüchse der türkischen Fußballkultur.
Als die Türken unter Terim in der Qualifikation für die WM 2006 an der Schweiz scheiterten, verprügelten nach dem entscheidenden Spiel türkische Spieler Schweizer Profis und Verantwortliche. Auch Emre war einer, der die Niederlage nicht akzeptieren wollte: Er wurde damals für vier Spiele vom Weltfußballverband gesperrt.
"Die Ereignisse nach dem Schweiz-Spiel waren ein typisches Beispiel für die Opferrolle, die die Türken so gerne einnehmen", meint der Politologe und Fußballpublizist Tanil Bora und meint damit jene Seite der türkischen Mentalität, die so gerne Sündenböcke für eigenes Versagen sucht.
Auf der individuellen Ebene lässt sich diese Opfer-Rolle auch an Emres Spielweise beobachten, findet Bora. Emre hat eine aggressive Ausstrahlung, akzeptiert nur schwer Schiedsrichterentscheidungen gegen sich und neigt zum Jähzorn. Das versperrte dem großartigen Fußballkünstler, dem der Dichter Kücük Iskender einst ein Gedicht widmete, die Aufnahme in der absoluten Weltklasse.
Noch immer aber läuft in der türkischen Nationalmannschaft fast jeder Angriff über Emre. Er fordert immer den Ball, ist mit seinem platzierten, harten Schuss auch als Fernschütze gefährlich und scheint zwischen den Strafräumen immer und überall präsent.
Als Platzhirsch im Mittelfeld blockiert er jene Position im Nationalteam, auf der gerade Nuri Sahin bei Borussia Dortmund reüssiert. Der im Sauerland geborene Sahin fehlte zuletzt im Kader der Türken, könnte aber nun gegen Deutschland neben Emre zum Einsatz kommen, da in Arda Turan Hiddinks bester Offensivspieler ausfällt.
In Italien feierten sie Emre als den "türkischen Maradona", in England warfen sie ihm Rassismus gegen einen farbigen Spieler vor, was nicht bewiesen werden konnte. Auch weil Türken stolz auf jene Landsleute sind, die es im Ausland zu etwas gebracht haben, zeigt Emre Sympathie für Mesut Özil bei Real Madrid. Er sagt über den deutschen Nationalspieler: "Ein Spieler mit türkischer Herkunft bei Real macht uns stolz. Er soll weiter erfolgreich sein - außer im Spiel gegen uns."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers