: Funktionierender Funktionär
■ betr.: "Woher kommt die Kraft der Wurzeln? - Der stumme Zwang des Milieus muß abgelöst werden" von Karlheinz Blessing (Buchbesprechung: Martin Kempe "Die Kraft kommt von den Wurzeln"), taz vom 31.8.90
betr.: „Woher kommt die Kraft der Wurzeln? - Der stumme Zwang des Milieus muß abgelöst werden“ von Karlheinz Blessing (Buchbesprechung: Martin Kempe „Die Kraft kommt von den Wurzeln“), taz vom 31.8.90
Karlheinz Blessing ist Funktionär und er funktioniert gut. Seine Besprechung des Buches von Martin Kempe ist eine geschickte Mischung aus Klassik und Neuerertum.
Natürlich hat Blessing - die rechte oder linke Hand Franz Steinkühlers - recht, wenn er Kempes mystisch übertriebenen Basis-Ansatz relativiert und auch die Zentralen, sich, ins Spiel bringen will.
Neue Töne kommen, insbesondere bei der IG-Metall, jetzt auch „von oben“. Lang verpönte Begriffe tauchen auf und werden auch in den Gewerkschaften (wie immer um Jahre verspätet) positiv besetzt: Individuum, Offenheit, Pluralität. Das ist subjektiv ärgerlich für all jene, die früher dafür in die kollektive Ordnung gerufen beziehungsweise kaltgestellt wurden, aber politisch geht kein Weg daran vorbei.
Und genau hier liegt der Grund, auch gegenüber den neuen Tönen kritisch zu sein. Ist der Honig bloß Leim? Blessing verrät sich durch falsche, mindestens widersprüchlich arrangierte Traditionalität: „Zu den vornehmsten Aufgaben der Gewerkschaften“ gehöre es, die unterschiedlichen „aber letztlich gemeinsamen“ Interessen der Menschen „zu politisieren, zu organisieren und konfliktfähig zu machen“. Wer macht da was mit wem? Das Subjekt-Objekt-Verhältnis hat sich - typisch und wie nebenbei - verkehrt.
Als Testfall für Blessings Modernismus kommen solche Rückgriffe in die sprachliche Mottenkiste der Gewerkschaften nur als Indikator in Betracht. Real werden es Konflikte sein, die konstrovers zu lösen sind. Der Basismief muß dann genauso kritisch analysiert werden wie der zentrale Leim. Was vermutlich beiden nicht gefällt.
Alfred Kolberg, Marburg
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