Frühe Kämpfe gegen Rassismus: Die andere Protestbewegung

Niels Seiberts lesenswertes Buch "Vergessene Proteste - Internationalismus und Antirassismus 1964-1983" erinnert an die frühen Kämpfe gegen Rassismus.

Am 2. August 1966 verteilten über hundert Demonstranten, darunter zahlreiche afrikanische Studierende, vor dem Filmtheater Astor am Kürfürstendamm ein Flugblatt, in dem sie auf den rassistischen Inhalt des gerade angelaufenen Films von Gualtiero Jacopetti "Africa Addio" hinwiesen und die Absetzung forderten. Die Szene, in der ein zwölfjähriger kongolesischer Junge erschossen wird, trug Jacopetti in Italien eine Anklage wegen Beihilfe zum Mord ein.

Der Film war keine Fiktion. Er zeigte weiße Söldner des kongolesischen Diktators Tschombé in Aktion und verherrlichte die Apartheid. Tschombé steht unter Verdacht, Patrice Lumumba, den ersten frei gewählten Präsidenten der früheren belgischen Kolonie, ermordet zu haben. Die Wut war entsprechend groß. Als sich die Geschäftsführung weigerte, die Vorführung zu beenden, kam es zu Tumult und beträchtlichem Sachschaden. Trotzdem blieb der Film im Programm. Der SDS kündigte daraufhin eine Demo an, die von der Polizei verboten wurde. Zwei Tage später versammelten sich über tausend Menschen auf dem Kudamm. Ein Afrikaner hielt ein Plakat mit der Aufschrift "Astor-Tradition 1940: Jud Süß, 1966: Africa Addio". Er rückte damit den Rassismus gegen Schwarze in die Nähe der NS-Ideologie. Während die Polizei den Platz vor dem Kino räumte, flogen im Astor Stinkbomben. Die Zeitungen berichteten ausführlich, auch über die Ankündigung weiterer Proteste. Dies veranlasste die Berliner Kinobetreiber, den Film abzusetzen.

Dies ist nur eine von zwölf exemplarischen Episoden aus der Protestgeschichte der Bundesrepublik, die Niels Seibert in seinem Buch "Die Vergessenen Proteste - Internationalismus und Antirassismus 1964-1983" erzählt. Die Initiative für die Proteste war von afrikanischen Studenten ausgegangen, die von den antikolonialen Kämpfen beeinflusst waren.

Der Antirassismus der 68er war internationalistisch motiviert. Rudi Dutschke bezeichnete die Anti-Tschombé-Demonstration 1964 als "Beginn unserer Kulturrevolution". Bei der Demo gegen den Besuch des "Marionettenpräsidenten" in Berlin, die als Schweigemarsch angekündigt war, wurden erstmals Polizeiketten überrannt, ganz vorne mit dabei afrikanische Studenten. Das offensive Vorgehen gegen Tschombé sei Initialereignis einer Radikalisierung gewesen, in dessen weiterem Verlauf es immer wieder zu spontanen und militanten Protesten kam, meint Seibert. Die Aktiven sahen in den globalen Ausbeutungsverhältnissen die Ursache für Armut und politische Unterdrückung.

"Irgendwie trafen wir uns, die geflüchteten, emigrierten Menschen aus den Ländern der Dritten Welt und die Unzufriedenen in den Metropolen", beschrieb Bahman Nirumand den Zeitgeist. "Wir dachten, dass es möglich sei, durch gemeinsamen Kampf die Welt zu verändern."

Besonders eindringlich liest sich die Geschichte der Proteste gegen die Abschiebung Nirumands und anderer Iraner 1968/69. Bemerkenswert war die Entschlossenheit und Militanz, mit der ihre Kommilitonen dabei vorgingen. Nirumand war Vorstandsmitglied im Dachverband persischer Studenten. Die Cisnu machte mit Appellen, Hungerstreiks und Demonstrationen auf die Lage im Iran aufmerksam. Wer bei diesen Protesten auffiel, lief Gefahr ausgewiesen zu werden; der lange Arm des persischen Geheimdienstes Savak reichte bis in die BRD. Ein Tipp der Botschaft ans Auswärtige Amt genügte, um "aufenthaltsbeendende Maßnahmen" einzuleiten. Die Auslieferung Nirumands scheiterte nur an massivem Protest im In- und Ausland.

Wenig später wurde Ahmed Taheri zusammen mit dem prominenten APO-Aktivisten Hans-Jürgen Krahl bei einer Razzia in Frankfurt verhaftet. Taheri sollte ausgewiesen werden. Als durchsickerte, dass seine Abschiebung vom Rhein-Main-Flughafen unmittelbar bevorstand, tagte gerade der SDS in Frankfurt. Die Delegierten eilten zum Ort des Geschehens, informierten die Fluggäste, stürmten das Rollfeld und hinterließen jede Menge Scherben. Es folgten dramatische Tage und Wochen, in denen die Frankfurter Universität die heftigsten Auseinandersetzungen ihrer Geschichte erlebte, bis die Behörden endlich nachgaben und Taheris Abschiebung zurücknahmen.

Als ich "Vergessene Proteste" zum erste Mal in die Hand nahm, war ich irritiert. Warum diese Beschränkung auf die Zeit von 1964 bis 1983? Ist Antirassismus für die Neue Linke nicht erst seit der zweiten Hälfte der Achtzigerjahre überhaupt von Bedeutung? Diese Frage bewog mich, es zu lesen.

Eine Gegenerzählung

Vor 25 Jahren, im August 1983, sprang Cemal Altun aus einem Fenster des Bundesverwaltungsgerichts in Berlin. Obwohl er politischer Flüchtling war, sollte er an die Türkei ausgeliefert werden. Auch daran erinnert Seibert. Cemal Altuns tragischer Tod war ein Fanal und brachte eine antirassistische Bewegung neuen Typs hervor. Nun standen die Opfer der restriktiven Asylpolitik im Vordergrund, die Ursachen für die neuen Migrationsbewegungen, die Politik von Internationalem Währungsfonds, Weltbank und multinationalen Konzernen geriet weitgehend aus dem Blickfeld.

Der Autor arbeitet auf knapp 200 Seiten den Antirassismus der 68er auf und bezieht diese nahezu vergessene Geschichte auf politische Debatten der Gegenwart. Das macht die Lektüre ausgesprochen spannend. Der Band ist zudem reich bebildert und bietet eindruckvolles Material von der Bewegung. Auch deswegen liest sich "Vergessene Proteste" als Gegenerzählung zu den Schriften von Autoren wie Götz Aly.

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