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Friedliche Walpurgisnacht

Mit Hilfe einer Sicherheitspartnerschaft zwischen Polizei und Veranstaltern sollte die diesjährige Walpurgisfeier am Prenzlauer Berg nicht zur Straßenschlacht ausarten. Zu guter Letzt krachte es doch  ■ Aus Berlin Uwe Rada

Dicht gedrängt stehen sie beisammen. Anwohnerinnen mit ihren Kindern, Jugendliche mit Kapuzenshirts und Polizisten in Zivil. Vor der Statue der Käthe Kollwitz ist eine kleine Bühne aufgebaut, auf der ab und an ein paar Feuerwerkskörper gezündet werden. Rings um die Feuerstellen huschen einige Hexen mit geschminkten Gesichtern und buntem Federschmuck. Eine von ihnen versucht sich und die anderen mit schrillem Geschrei in Stimmung zu bringen. Doch mehr als ein Lächeln ruft das nicht hervor.

Weit über 10.000 Menschen sind am Vorabend des 1. Mai zur Walpurgisnacht zum Prenzlauer Berg in Berlin gekommen. Doch statt Ausgelassenheit und Hexentanz herrscht am Kollwitzplatz vor allem gespannte Erwartung. Ein vielleicht Zwölfjähriger fragt seinen älteren Kumpel: „Gibt es Krawall?“ Der Kumpel zuckt mit den Schultern. „Vielleicht“, meint er lakonisch. Mücke, ein Stadtteilkämpfer vom Prenzlauer Berg, weiß es auch nicht. In einem aber ist er sich sicher: „Mit den Walpurgisfeiern der letzten Jahre hat das hier nichts zu tun.“

Während in Westberlin die Walpurgisnacht vor allem als Frauen- und Lesbenkampftag begangen wurde, hat die Nacht vor dem 1. Mai im Ostbezirk Prenzlauer Berg eine andere Tradition – eine Nachwendetradition: Mit Hexentanz und Walpurgisfeuern sollen hier seit 1990 neben den bösen Geistern auch die kalten Temperaturen des Winters vertrieben werden. Im kleinen Kreis von ein paar Hundert tanzen Hexen neben Hexern, sitzen Hippies und Betrunkene um kleine Lagerfeuer. Daß die Feiernden in den vergangenen Jahren am liebsten unter sich waren, zeigte sich 1995. Damals wollte die Polizei erstmals den Kollwitzplatz räumen und traf auf den erbitterten Widerstand der bislang immer als friedfertig geltenden Prenzelberger. Bis in die Morgenstunden lieferten sich Polizei und an die aufgebrachte 2.000 Menschen immer wieder Straßenschlachten. Zwischendurch wurde getrommelt und getanzt. „Die Kreuzberger Szene ist in den Prenzlauer Berg gezogen“, schrieben damals diejenigen, die es nicht besser wissen wollten.

Einen Tag vor der Walpurgisnacht herrscht in diesem Jahr in der Kollwitzstraße 66 aufmerksame Geschäftigkeit. „Werden aus einer Versammlung heraus Straftaten verübt, muß die Polizei eingreifen“, doziert Herr Filusch. Herr Filusch ist Polizeibeamter und soll in Anwesenheit des Walpurgis-Einsatzleiters die freiwilligen Ordner der Initiative Walpurgis 96 in ihre Aufgaben unterweisen. Doch mit einem halbstündigen Vortrag über die Tücken des Versammlungsgesetzes hat keiner gerechnet. Auch nicht Nilson Kirchner, der Sprecher der Initiative, die es sich in diesem Jahr zum Ziel gesetzt hat, eine friedliche Walpurgisfeier zu organisieren. Eine Feier, die auf dem Kollwitzplatz im Herzen des Prenzlauer Bergs keine bleibenden Schäden hinterläßt. Die vom Bezirk und den Anwohnern lang ersehnte Sanierung des fast quadratischen Platzes war im vergangenen Jahr einer der Auslöser für den Polizeieinsatz gewesen. Aus Sorge um den neuen Rasen hatte Kirchner den Leiter des Grünflächenamtes gebeten, ein Auge auf die Walpurgisfeier zu werfen. Der Amtsleiter wiederum hatte den zuständigen Polizeiabschnitt in Kenntnis gesetzt. Dieser veranlaßte schließlich die Räumung des Platzes.

„Dieses Jahr soll Walpurgis friedlich werden“, sagt auch Ernst Frieder Kratochwil, ein weiterer Sprecher der Initiative Walpurgis 96. Damit es zu keiner erneuten Straßenschlacht kommt, handelte die Initiative im Vorfeld der Walpurgisfeier mit der Polizei eine Sicherheitspartnerschaft aus. In unmittelbarer Nähe des Platzes, so lautete die Abmachung, sollen keine uniformierten Kräfte aufziehen. Vier behördlich genehmigte Feuer dürfen lodern. Im Gegenzug sollen neunzig Zivilbeamte zusammen mit den Ordnern der Veranstalter deeskalalierend auf die Festbesucher einwirken.

Doch schon am Walpurgisvorabend wird der Wille zur Deeskalation auf eine erste Probe gestellt. Einige ungebetene Punks versuchen in der Kollwitzstraße 66, die Ordnerliste zu erbeuten. Herr Filusch von der Polizei bricht empört seinen Vortrag ab. Auch ein Sechs- Augen-Gespräch mit Kirchner und dem Einsatzleiter kann die Situation nicht retten. Die Polizeibeamten ziehen unverrichteter Dinge von dannen. Die Generalprobe für die Sicherheitspartnerschaft ist gründlich mißlungen.

Für viele im Kiez hat die Walpurgisnacht schon aufgrund des umstrittenen Sicherheitskonzepts ihre Unschuld verloren. Im Vorfeld der Nacht zum 1. Mai distanziert sich auch die PDS von diesem Konzept der Veranstalter. Von Polizeifestspielen ist nun die Rede. „Doch nach den Straßenschlachten im letzten Jahr gab es nur zwei Alternativen“, beteuert Kirchner immer wieder: „Entweder gar keine Walpurgisfeier oder eine Neuauflage der Randale.“

Um 23 Uhr ist die Walpurgisnacht in vollem Gange. Rund um die vier genehmigten Feuerstellen herrscht dichtes Gedränge. Im Hintergrund wird getrommelt. „Was ist das für ein Fest?“ fragt einer. Keiner weiß es genau. Viele liegen auf der Lauer. Einer klettert auf einen Baum und bringt ein Transparent an: „Unsere Häuser könnt ihr räumen, unsere Träume nicht“, steht da. Vier Häuser hat Berlins Innensenator und Exbundeswehrgeneral Jörg Schönbohm (CDU) in den vergangenen Wochen räumen lassen. Die Stimmung in der linken Szene ist gereizt. Einige Ostberliner fühlen sich an vergangene Zeiten und die Stasi erinnert. „Wir haben es verlernt, unter Aufsicht der Polizei zu feiern“, heißt es auf einem Flugblatt von Prenzelberger Autonomen. Ihr Traktat endet mit den Worten: „Ohne Bullen kein Krawall.“ „Ein strategisches Dilemma“, meint einer der Anwohner: „Wenn es dieses Jahr wieder kracht, dann ist Walpurgis als Randaletermin endgültig abonniert. Verläuft alles friedlich, wird es im nächsten Jahr ein Kommerzfest ohnegleichen.“

Vor dem Szenecafé Westphal, einer der ersten selbstverwalteten Kneipen Ostberlins nach der Wende, hält Bezirksbürgermeister Reinhard Kraetzer tapfer Stellung. Noch glaubt der Sozialdemokrat an den Erfolg der Sicherheitspartnerschaft. Nachdem das Bezirksamt die Randale im vergangenen Jahr buchstäblich verschlafen hatte und in einer Art Kurzschlußhandlung hinterher sogar forderte, die festgenommenen Jugendlichen für die Schäden haftbar zu machen, macht sich Kraetzer nun für das Konzept der Veranstalter stark. Und das beinhaltet auch einen Seitenhieb Richtung PDS. Denn durch das Gerede von den Polizeifestspielen, so meint Kraetzers SPD, müsse die PDS auch die politische Verantwortung für eventuelle Auseinandersetzungen tragen. An der Bereitschaft der Polizei zur Deeskalation hat der Bürgermeister am frühen Abend keine Zweifel.

Vor der Ecke zur Knaackstraße lungern ein paar Punks herum und belustigen sich über ein neueröffnetes Restaurant, dessen Scheiben in der Nacht zum 1. Mai mit Spanplatten verbarrikadiiert sind. Auf der anderen Seite des Kollwitzplatzes haben Jugendliche inzwischen ein „illegales Feuer“ entzündet. Es ist ein Uhr morgens. „Das ist unser Feuer“, sagt ein Mädchen mit rotgefärbten Haaren. Neben ihr gibt eine Trommelgruppe ein Sambakonzert. Die ersten tanzen. Zu diesem Zeitpunkt werden die Zivilbeamten gegen den erklärten Willen der Veranstalter abgezogen. Die mißglückte Generalprobe hat die Realität eingeholt.

Kurz nach halb zwei schieben Jugendliche einen Bauwagen auf die Wörther Straße und errichten in einiger Entfernung des Kollwitzplatzes eine Barrikade. Erst gegen 2.20 Uhr informiert der Einsatzleiter der Polizei den Veranstalter Nilson Kirchner: Nun werde man mit uniformierten Kräften gegen die Barrikade einschreiten. Die Polizei habe ihm versichert, so Kirchner, daß die Walpurgisfeier mitten auf dem Kollwitzplatz weitergehen sollte. Das könne er auch den Feiernden auf dem Platz mitteilen. Kurze Zeit später ist das Chaos perfekt. Anstelle einen anderen Weg zu nehmen, um zu der Straßenbarrikade zu gelangen, wälzt sich ein Kommando von Polizeibeamten mitten über den Kollwitzplatz. „Die Beamten sprangen sofort aus ihren Einsatzfahrzeugen und gingen ohne Vorwarnung gegen die friedlichen Festteilnehmer vor“, beklagt sich Kirchner am Tag danach. Die Bilanz der „friedlichen“ Walpurgisnacht: 25 Festnahmen und ein enttäuschter Veranstalter, der das Verhalten der Polizei als „eklatanten Wortbruch“ bezeichnet.

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