Friedenspreis für David Grossman: Dem Unrecht ins Auge sehen
Der israelische Schriftsteller David Grossman nahm in der Frankfurter Paulskirche den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels entgegen.
![](https://taz.de/picture/294586/14/grossmann.20101010-15.jpg)
"Auch wenn man wichtige Dinge zu verhandeln hat, man muss immer auf das Fernsehen warten." Die launige Bemerkung von Gottfried Honnefelder, dem Leiter des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, gewann keine Lacher. In der Paulskirche ist dem Publikum das Schweigen Ehrensache; jede Gefühlsregung überlässt es freundlich den geladenen Rednern. Zumindest in diesem Jahr, in dem der israelische Schriftsteller David Grossman für seinen Roman "Eine Frau flieht vor einer Nachricht" den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhält.
Die Laudatio obliegt diesmal Joachim Gauck. Es sei ein Glück, setzt dieser an, endlich dem "real existierenden" David Grossman zu begegnen. Ein kleiner schlechter Scherz. Doch wer den ehemaligen Leiter der Gauck-Behörde einlädt, kriegt nun mal DDR-Geschichte. Und viel Kitsch. Wir alle hier, fährt er beherzt fort, seien "Dürstende". "Immer in der Gefahr , in den Wüsten unserer Zeit zu verschmachten, sehnen wir uns nach Menschen, deren Denken und Reden und Schreiben uns hoffen lässt, die Zukunft könne Frieden und Recht bringen." Zukünftig sollte David Grossman doch bitte nicht nur die USA und England, sondern auch Deutschland als Freund Israels anerkennen, mahnt Gauck nebenbei an und schlüpft schließlich in die Rolle des Großpredigers: "Wir rühmen und preisen heute jene, die nicht weichen. Danke David. Du stehst vor deinem Goliath, dem alltäglichen Hass, nicht einmal wie früher mit einer Steinschleuder. Aber du bist David."
Ja, und dann steht David Grossman im schwarzem Jackett, grauer Krawatte und passender Baumwollhose auf und bedankt sich bei all seinen Mitstreitern, bei seiner Frau Michal, die in der ersten Reihe sitzt und sich wenige Minuten später dezent die Augen wischen wird. Grossmans Stimme ist eher leise, sein Englisch hat einen starken Akzent, zugleich ist der 1954 in Jerusalem geborene Künstler ein geübter Redner und mag solche Auftritte offenbar auch. Fragte man ihn, was er sich wünschte, wäre Frieden seine Antwort, sagt er. Bliebe der Fragende beharrlich und stellte fest, dass mit Frieden in nächster Zeit nicht zu rechnen sei, was antwortete er dann?
"Ich würde", sagt Grossman, "gern lernen, mich all dem Entsetzlichen, all dem Unrecht, das dieser Konflikt uns im Großen und im Kleinen jeden Tag beschert, so weit wie möglich auszusetzen; nicht aufzuhören, mich von ihm verletzen zu lassen." Ausgerechnet Deutschland zeige, dass sich eine Gesellschaft als Demokratie neu erfinden kann, selbst wenn sie von einem Ort aufbricht, "an dem die Menschlichkeit selbst zerbrochen wurde." Seinem Land sei es bis heute nicht gelungen, den jüdischen Menschen von seiner "bitteren Grunderfahrung zu heilen: dem Gefühl, auf der Welt heimatlos zu sein." Da helfen nur feste Grenzen. Mitnichten sei das trivial, setzt er nach. Ohne Grenzen kein Land - und ohne Land kein Frieden. Den gebe es nur, wenn mental Grenzen überschritten würden. Ohne Verständnis dafür, dass das Schicksal der Palästinenser und der Israeli miteinander verwoben sei, seien die Friedensverhandlungen fruchtlos. Israel müsse seine Geschichte noch einmal neu zu schreiben beginnen. Elegant schließt Grossman: "Auf dass wir nicht mehr Opfer werden, nicht unserer Feinde und nicht unserer eigenen Ängste."
Mit diesem Grenzspiel führt der Literat in Frankfurt ein Prinzip vor, das seine Romane so berührend macht: Die Kunst der Ambivalenz, des nüchternen Urteils ohne Verurteilung, der List des Erzählens, mit der Gut und Böse als Antipoden beständig in Frage gestellt werden. Der Applaus fiel gediegen aus - aber er dauerte lange an.
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