: Friedensläufer in Ketten
Gustavo Moncayo, 55, sammelte auf seinem 46-tägigen Protestmarsch durch Kolumbien zwei Millionen Unterschriften für den Austausch von Entführten; besondere Hindernisse: angekettete Hände FOTO: AP
Solch einen Empfang hatte sich Gustavo Moncayo sicher nicht erträumt, als er sich am 17. Juni in seinem Heimatdorf Sandoná in den südwestkolumbianischen Anden auf die Wanderschaft machte, im Gepäck eine Hose, drei Hemden und eine Quenaflöte: 46 Tage und 1.200 Kilometer später jubelten dem 55-jährigen Geschichtslehrer, seiner Frau und seinen vier Töchtern am Mittwoch in Bogotá Zehntausende zu. Gestern traf er mit Staatschef Álvaro Uribe zusammen.
Für den Hardliner im Präsidentenpalast hatte Moncayo, der den Marsch mit einer Kette zwischen den Handgelenken und seinem Hals bewältigte, eine klare Botschaft: „Das ganze Volk verlangt den humanitären Austausch. Wir dürfen nicht zulassen, dass unsere Angehörigen im Urwald verrotten.“ Zu den Geiseln in der Gewalt der „Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens“ (Farc) gehört Moncayos Sohn. Im Dezember 1997 überfielen die Rebellen die Militärbasis Patascoy, töteten 10 und verschleppten 18 Soldaten, darunter den damals 19-jährigen Pablo. Auf einem Video, das al-Dschasira Ende Juni ausstrahlte, richtete der abgemagerte Soldat zwei Fragen an Uribe: „Warum eröffnen Sie nicht eine dritte Front des Dialogs? Warum nur mit Gewalt?“
Das fragen sich immer mehr KolumbianerInnen, zumal die Regierung Uribe nach dem 40-jährigen Krieg sowohl den rechtsextremen Paramilitärs als auch der ELN-Guerilla entgegengekommen ist. Der Präsident weigert sich beharrlich, ein 760 Quadratkilometer großes Gebiet militärisch räumen zu lassen, was die Rebellen als Bedingung fordern. Er weiß, dass die Farc nichts sehnlicher wünschen, als 500 ihrer Kämpfer im Austausch gegen Soldaten, Polizisten und prominente Politiker freizubekommen –und setzt vielleicht gerade deshalb auf militärische Befreiungsaktionen. Der Tod von 11 verschleppten Abgeordneten im Juni, der offenbar auf das Konto der Farc geht, hat der Nation die kritische Lage der Geiseln erneut vor Augen geführt.
Ein Gefangenenaustausch könne aber nur der erste Schritt sein, meint Moncayo: „Wenn es dabei bleibt, wird die Gewalt weitergehen. Wir müssen die ganze soziale Problematik angehen.“ Deshalb schilderte er seinen Zuhörern auf der Plaza Bolívar einige Begegnungen, die ihn auf seinem Marsch durch halb Kolumbien besonders beeindruckt hatten: etwa mit Kinderarbeitern, die nicht mal 1 Euro pro Tag verdienen, oder mit Akademikern, die sich mit Straßenhandel über Wasser halten. Beim Empfang von Bogotás Bürgermeister Lucho Garzón sagte Moncayo: „Ich werde kämpfen, bis ich den letzten Entführten umarmen kann. „An diesem Tag lege ich meine Ketten ab.“ GERHARD DILGER