: Friedenskarawane durch ein zerrissenes Land
Ende September durchquerte eine von den Helsinki-Gruppen organisierte Friedenskarawane Jugoslawien / Nationalismus beschränkt Verständigung ■ Von Paul Hockenos
„Wir wissen, daß sie Triest verlassen haben, aber das ist auch schon alles“, erklärte mir ein Organisator des „Helsinki-Bürger-Komittees“ in Prag über den Standort der Friedenskarawane. „Die Linien nach Zagreb und Ljubljana sind zusammengebrochen.“ Immerhin, die Friedenskarawane war unterwegs. Die Frage war nun für mich, wie und wo ich auf den Buskonvoi stoßen würde, der sich von Triest aus durch Slowenien und Kroatien in Bewegung gesetzt hatte. Über Montate war der Konvoj vom Helsinki-Komitee und anderen Friedenstruppen vorbereitet worden. Er sollte das kriegsgeschüttelte Kroatien durchqueren, die direkt umkämpften Gebiete meiden und via Ungarn nach Belgrad fahren. Auf Veranstaltungen sollten dann in vielen Orten Serbiens und Bosniens über den Frieden diskutiert werden. Schließlich war nach fünf Tagen Fahrt in Sarajewo eine Abschlußkundgebung geplant.
Ich setzte mich also am 27. September von Budapest aus in den Zug und fuhr zur ungarischen Grenze, wo in der auf der anderen Seite liegenden Stadt Subotica schon ein Empfangskomitee wartete.
Die 100.000 Einwohner der Stadt Subotica, in der mehr als 20 Nationalitäten leben, wissen sich noch in einem friedlichen Ort. Hier, in der Wojwodina, sind die Konflikte zwischen den einzelnen Nationalitäten noch nicht im Krieg gemündet. Subotica, so sagen die hier Wartenden, ist ein Zentrum der Opposition gegen den Krieg. Doch das Organisationskomitee sieht eher nach alten Apparatschicks als nach Friedenskämpfern aus. „Wir müssen sehr vorsichtig sein, um einen Konflikt zu vermeiden“, sagt Laszlo Bela, der Präsident der Subotica-Friedenskoalition. Immerhin spielte die beste Punk-Band der Stadt auf, um die Begrüßungsparty schon mal zu beginnen. „Natürlich sind wir hier alle gegen den Krieg“, sagt Kati, (21), deren Mutter Ungarin und der Vater Serbe ist. „Viele meiner Freunde fliehen vor dem Einberufungsbescheid und sind schon nach Ungarn gegangen, weil sie nicht kämpfen wollen.“
Band nach Band tritt auf, bis schließlich eine Frau ans Mikrophon geht, um endlich über den Frieden zu reden. Kaum hat sie drei Zeilen eines Gedichtes vorgelesen, als einige junge Männer ihr das Mikrophon aus der Hand reissen. „Hau ab“, schreit einer, der drei Finger seiner Hand zum serbischen Gruß geformt hat, „langweil uns nicht mit deinem Friedensgesäusel, du kroatische Nutte.“ Die anderen jungen Leute schauen der Szene ohne einzugreifen zu. Die Musik fängt wieder an zu spielen.
Endlich, am morgen, kommt sie, die Friedenskarawane. 300 Leute quälen sich aus sechs Bussen und einigen anderen Fahrzeugen, 300 Franzosen, Italiener, Deutsche und Skandinavier, dazwischen Polen, Russen und Tschechen. Es mutet der einheimischen Bevölkerung schon seltsam an, wie diese Menschen unter den Klängen von Bob Dylan versuchen, auf sie zuzugehen.
Für die Westeuropäer bedeutet die Karawane eine Möglichkeit, sich über die Dinge in Jugoslawien zu informieren, konkrete Eindrücke zu gewinnen, die Situation verstehen zu lernen. „Europa kümmert sich nicht um den Krieg in Jugoslawien“, sagt Eva, eine Soziologiestudentin aus Berlin. „Ich bin nur hier, um allen zu zeigen, daß es mir nicht egal ist. Vielleicht nützt unser Engagement der Friedensbewegung hier.“
Zwar zeigen Umfrageergebnisse, daß die Mehrheit der Bevölkerungen aller Republiken gegen den Krieg ist, doch sogar heute, zeigt sich auch, daß die jugoslawische Friedensbewegung entlang den etnischen Linien gespalten ist. Es ist zwar einfacher, zu behaupten, auch den anderen Standpunkt zu verstehen, als danach zu handeln, doch wichtiger ist noch ein anderer Aspekt: „Es gibt viele Leute, die aufschreien möchten, aber viele haben auch Angst“, sagt ein Studentenführer aus Belgrad. „In Serbien wirst du als Verräter bezeichnest, wenn du gegen den Krieg auftrittst. Du gehst ein großes Risiko ein, wenn du es dennoch tust.“
Im Bus auf den Weg nach Belgrad wird weiter heftig diskutiert. Einige Serben beklagen sich über die Slowenen, die kaum, daß sie nicht mehr betroffen sind, sich für den Frieden wenig engagieren. Die Kroaten beharren darauf, daß die diplomatische Anerkennung Kroatiens Voraussetzung für den Krieg wäre. Doch geben auch sie zu, daß es heute in Kroatien nicht leicht sei, für den Frieden zu werben. „Niemand denkt ernsthaft über eine friedliche Lösung nach“, gibt Dennis (19) von der „Grünen Aktion Zagreb“ zu bedenken.
In Belgrad angekommen, bereiten serbische Friedensgruppen den Reisenden einen herzlichen Empfang und lassen etwas von der sprichwörtlichen Gastfreundschaft des Landes spüren. Doch schon bald wird die Diskussion wieder schwieriger. „Was der Westen nicht versteht ist, daß die Kroaten die Aggressoren sind“, sagt Dr. Dusan Potkonjjan, Mitglied der libaralen serbischen Opposition.
„Das Schlimme ist,“ sagt Ivana, eine junge Russisch-Lehrerin aus Belgrad, „daß niemand ganz aus der Propaganda der Medien springen kann. Wenn du zehn Mal verstümmelte Leichen siehst, glaubst du schließlich, daß die anderen die Bösen sind. Selbst wenn du weißt, daß es für die andere Seite ähnlich ist.“
Endlich in Sarajewo, der Hauptstadt Bosnien-Herzegowinas angekommen, verstehen die meisten, daß der Ruf der Stadt, Zentrum der Friedensbewegung zu sein, zu recht besteht, aus den Fenstern der orientalisch anmutenden Gebäude wird gewunken, geklatscht und es werden den Businsassen freundliche Worte zugerufen. Eine Französin lehnt sich aus dem Bus und schüttelt einer schwarzhaarigen bosnischen Frau die Hand. Als sie nach deren Nationalität fragt, sagt die stolz: „Ich bin Jugoslawin.“ In Bosnien und Sarajewo, wo Serben, Kroaten und Muslime eng miteinander leben, wissen die Menschen, das ein Krieg hier alles zerstören wird. „Wir sind hier ein Jugoslawien im Kleinen. Wenn wir uns hier vertragen, könnte es anderswo ebenfalls möglich sein,“ hofft einer der Redner auf der Kundgebung. Doch für mich bleibt die Erkenntnis, daß die Stimmen des Kompromisses dünn gesät bleiben. Solange auch selbst in der Friedensbewegung der Nationalismus eine Rolle spielt, wird die Logik des Krieges nicht zu durchbrechen sein.
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