■ Friedensforscher Egon Bahr zum Dilemma des Krieges in Bosnien: Tote riskieren, um noch mehr Tote zu verhindern?: „Innerhalb von sechs Monaten hätte man diesen Krieg ersticken können“
taz: Herr Bahr, jetzt ist das lange Undenkbare da: Über der Adria üben heute deutsche Tornadoflieger den Kampfeinsatz. Ihre Aufgabe: Das Bombardement serbischer Stellungen.
Bahr: Das ist die Konsequenz des Bundestagsbeschlusses, der sagt: Out-of-area-Einsätze sind zugelassen. Jetzt kann es eben sein, daß wir zur Unterstützung der Schnellen Eingreiftruppe selbst angreifen müssen: wenn sie angegriffen wird, um den dann nötigen Transport von Nachschub durch Kampfhubschrauber zu sichern.
Heute werden nur noch zwei Alternativen gesehen: die Bosnier, dieses geschundene Volk, dem Untergang preisgeben. Oder: den Serben militärisch entgegentreten – und das mit aller Gewalt.
Im Prinzip ist das ein schreckliches Ergebnis der unzähligen Fehler, die alle Beteiligten gemacht haben. Nicht zu vergessen auch die Serben. Denn es ist bemerkenswert, daß die es fertigbekommen haben, das traditionell gute Verhältnis zwischen ihnen und Frankreich und Großbritannien zu einem Punkt zu treiben, an dem diese Länder die Schnelle Eingreiftruppe in Marsch gesetzt haben. Das Dilemma, das Sie beschreiben, hängt einfach von der Unfähigkeit von Regierungen ab, die einstmals beschlossenen Embargomaßnahmen wasserdicht durchzusetzen.
Für dieses Embargo gab es doch nie eine Chance!
Aber selbstverständlich gab es die! Innerhalb von sechs Monaten wäre dieser Krieg erstickt – durch Mangel an Nachschub, Mangel an Sprit. Diesen Krieg könnte man auch heute noch ersticken. Aber dazu bräuchte es 500.000 oder 800.000 Mann. Und die gibt es nicht! Niemand würde sie zur Verfügung stellen.
Und so sagt selbst der friedensbewegte Günter Grass: „Heute bleibt nur noch der Eintritt in den Krieg mit ungewissem Ausgang.“
Das ist eine Alternative, gewiß doch. Allerdings: Mit schrecklichen Opfern auch unter der Zivilbevölkerung. Die andere Alternative ist der jetzige Versuch, die Serben mit begrenztem Einsatz von Bodentruppen und Luftschlägen zur Vernunft zu bringen oder abzuschrecken. Wenn das mißlingt, dann bleibt nur noch der Abzug.
Der russische Schriftsteller Lew Kopelew widerspricht Ihnen da: „Wer nicht militärisch eingreift, macht sich mitschuldig.“
Das ist eine moralisch achtenswerte Position. Sie läßt leider unberücksichtigt, wie viele unschuldige Opfer das kosten würde.
Was nun, Friedensforscher Bahr, ist Ihr Szenario für das Ende dieses Krieges: Serben bombardieren, Waffen an Bosnien liefern...
Wenn es nicht gelingt, die Serben mit einem begrenzten Militäreinsatz zum Anhalten zu veranlassen, dann bleibt nur – ich sag's nochmals – der Abzug: weil weder der Wille zum Krieg noch der Wille zum höheren Einsatz vorhanden ist.
Bisher ist in Jugoslawien alles mißlungen, es wird auch dieser Versuch mißlingen.
Ich fürchte, Ende der Woche werden wir vor dieser Frage stehen. Und was dann?
„Die Nato ist die größte Friedensbewegung“, meinte Verteidigungsminister Manfred Wörner vor gut zehn Jahren. Über diesen Satz von orwellscher Dimension hat die Friedensbewegung heftig gelacht.
Daß die Nato als der größte Friedensbringer erscheint, ist Ausdruck der grotesken Fehlentwicklung. Aber Pazifisten sind auch nur Menschen und können irren. Auch Pazifisten sind beeindruckt von der unbezweifelbaren Tatsache: Es wird keine Ordnung zwischen Staaten geben ohne die Bereitschaft, gegen einen Verbrecher notfalls mit Gewalt vorzugehen, wenn er diese Ordnung stört.
Der Schriftsteller Peter Rühmkorf träumt in der Woche von einer Aktion à la James Bond: „Vier bis fünf gut bezahlte Kugeln würden Wunder bewirken.“
Das möchte ich nicht kommentieren.
Aber vielleicht den Vorschlag des Republikaner-Chefs im US- Senat, Robert Dole: Waffen für die Bosnier!
Ganz sicher würden nicht nur Bosnier Waffen kriegen, sondern andere auch. Das wäre nur die Fortsetzung des Krieges mit militärisch verbesserten Mitteln. Und damit der Möglichkeit zusätzlicher Konflikte. Denken Sie nur daran, wen etwa die Griechen oder die Türken beliefern würden.
Muß man nicht einfach handeln? Da sind die Bilder aus Srebrenica, Bilder von erhängten Frauen und geschundenen Alten...
Das ist alles empörend. Empörend ist aber auch, daß wir solche Bilder des Schreckens aus anderen Teilen der Welt nicht bekommen – und uns deshalb nicht aufregen. Im Südsudan wäre eine Empörung ebenso angebracht wie in Bosnien.
Dieser Krieg ist nahe. Er ist in Europa.
Was ist das für eine Moral! Eine Moral, die sich nur um das naheliegende Übel kümmert.
Voller Zukunftspessimismus ist der ehemalige Präsident François Mitterrand: „Krieg, das ist nicht nur Vergangenheit. Er kann auch unsere Zukunft sein.“
Na und? Ich hoffe, daß seine Vorhersage nicht eintritt. Aber ausschließen kann ich es nicht. Interview: Arno Luik
und Norbert Thomma
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