■ Frieden in Kongo und Sierra Leone: In den Flüchtlingslagern und auf den Schlachtfeldern realisiert sich die Einheit Afrikas: Aufstieg aus dem Chaos
Der 7. Juli dürfte als historischer Tag in die afrikanische Geschichte eingehen. Nahezu auf die Stunde genau zeitgleich wurden die zwei schwierigsten der vielen Kriege Afrikas zumindest ansatzweise gelöst. Die Friedensabkommen für Sierra Leone und die Demokratische Republik Kongo eröffnen – wenn sie in die Tat umgesetzt werden – Perspektiven für den Aufstieg Afrikas aus Gewalt und Zerstörung.
Die Kriege in Sierra Leone und Kongo waren keine normalen Kriege zwischen innenpolitischen Rivalen oder verfeindeten benachbarten Ländern. Sie betrafen zusammengenommen den gesamten afrikanischen Kontinent. Sierra Leone, dessen Bürgerkrieg sich schnell mit den Konflikten der Region verzahnte, hat jahrelang die diplomatische und zum Teil die militärische Aufmerksamkeit ganz Westafrikas auf sich gelenkt; es hat die derzeit größten Flüchtlingsströme des Kontinents produziert, mehrere Länder gesellschaftlich zutiefst erschüttert und politischen Streit auf regionaler Ebene genährt. Der von Anfang an internationalisierte Kongo-Krieg hat von Libyen bis Südafrika den gesamten Rest Afrikas bis zur Erschöpfung beschäftigt, Armeen aus sechs bis neun Ländern direkt involviert, auf Konflikte in den Nachbarländern Einfluß gehabt und in vielen anderen Staaten innenpolitische Erschütterungen hervorgerufen.
Es gibt kein Land in Afrika, das nicht von einem dieser beiden Kriege in irgendeiner Weise betroffen gewesen ist. Und es gibt kaum ein Land in Afrika, das nicht zumindest indirekt bei der Suche nach einer Friedenslösung für einen dieser beiden Kriege mitgeholfen hat.
Das deutet auf grundlegende Veränderungen in der afrikanischen Politik hin, deren Tragweite erst jetzt richtig faßbar wird. Im Kongo und zum Teil in Sierra Leone handelt es sich strenggenommen um innerstaatliche Konflikte, nicht um zwischenstaatliche, obwohl Armeen mehrerer Länder beteiligt sind. Doch sind es keine rein nationalen Bürgerkriege, weil sich viele Länder um die Macht in einem Land streiten. Ihre Lösung besteht zwar in erster Linie in der politischen Neuordnung des betroffenen Landes, doch diese wird erst durch einen Interessenausgleich zwischen den kriegführenden Staaten möglich.
Letztlich ist hier eine Unterscheidung zwischen Bürgerkrieg und internationalem Konflikt nicht mehr sinnvoll. Sierra Leone und noch viel stärker die Demokratische Republik Kongo bieten das neue Modell eines internationalen Bürgerkrieges. Mit ihnen hat die afrikanische Politik endgültig den Rahmen des Nationalstaats verlassen.
Dieser Prozeß ist unumkehrbar, denn er beruht auf realen gesellschaftlichen Veränderungen, die jetzt ihre politische Entsprechung finden. Afrikas Kriege haben Afrikas Völker zusammengeführt. Millionen von Afrikanern sind als Flüchtlinge in fremden Ländern aufgewachsen. Dutzende politische Führer haben ihre Karriere im Exil begonnen, zahllose politische Identitäten wuchsen aus der Erfahrung des Daseins in der Fremde. Aus innenpolitischen Rivalitäten werden so außenpolitische Sprengsätze – und umgekehrt.
In afrikanischen Kriegen kämpfen immer öfter Soldaten verschiedener Nationalitäten auf derselben Seite und treffen dafür im feindlichen Lager auf Landsleute. Die politische Sozialisation, die Bewußtseinsbildung und das Entstehen von Freund-Feind-Schemata sind allesamt grenzüberschreitend geworden.
Es ist keine ganz neue Entwicklung. Schon die antikolonialen Befreiungskämpfer agierten auf kontinentaler Ebene, woraus sie das Schlagwort des Panafrikanismus machten. Südafrikas ANC mußte seine Untergrundkämpfer während des Kampfes gegen die Apartheid von Angola bis Tansania streuen. Ruandas RPF entstand in ugandischen Flüchtlingslagern. Westafrikanische Rebellen pilgerten schon immer gerne zu Gaddafi nach Libyen. Aber bislang war das Ziel solcher Aktionen ausschließlich die Heimkehr ins Mutterland und die Gestaltung der eigenen Nation. Der Heimatverlust war die Ausnahme. Heute hat sich der Horizont erweitert.
Afrikanische Rebellen mobilisieren heute lieber die internationale Öffentlichkeit als das eigene Volk. Es ist einfacher, sich ausländische Verbündete zu suchen als innenpolitische. Es gibt immer mehr Kriegsparteien, die sich gar nicht mehr eindeutig einem Land zuordnen lassen, wie zum Beispiel die exilierten ruandischen Hutu-Milizen im Kongo. Der Rahmen ist nicht mehr das eigene Land, sondern ganz Afrika plus eine Nebelformation namens „internationale Gemeinschaft“, die abstrakt als Zeuge und Schiedsrichter herbeizitiert wird.
Vordergründig macht diese Entwicklung den Eindruck von immer größerem Chaos. Seit Jahren diagnostizieren Beobachter und Staatsmänner bei jedem neuen afrikanischen Konflikt ganz korrekt die Krise der afrikanischen Staatswesen. Jeder Krieg galt als weiterer Beweis für den unausweichlichen Staatszerfall. Daraus wurde auf den Zerfall ganz Afrikas geschlossen. Aber nichts könnte verkehrter sein. Auf Afrikas Schlachtfeldern und in Afrikas Flüchtlingslagern realisiert sich die Einheit Afrikas.
Es ist ein spontaner, anarchischer und nicht steuerbarer Prozeß, der die Politiker sichtlich überfordert, wie an den Schwierigkeiten der Friedensgespräche für den Kongo zu erleben war. Aber er ist völlig logisch. Gerade Afrikas Krisenregionen sind in ihrer politischen Entwicklung geradezu beängstigend logisch, denn die Akteure handeln streng nach dem Gesetz des Eigennutzes.
Die Logik der Entwicklung führt weg vom Nationalstaat. Und solange die Erben des Staatsgebildes sich dessen Scherben um die Ohren hauen, herrscht Krieg. Aber ein Frieden, der nach vorne weist, kann nicht in der Wiederherstellung der Vergangenheit bestehen, sondern bedeutet die Bildung einer neuen Ordnung, die die zerfallenen Staatswesen überwindet. Je komplexer und internationaler das Chaos des Krieges, desto komplexer und internationaler gestaltet sich die Ordnung des Friedens.
Wie diese Ordnung aussehen kann, weiß noch kein Mensch. Vordergründig sind die neuen Friedensabkommen für Sierra Leone und für den Kongo rückwärtsgewandt. Die Scherben der Länder sollen auf wundersame Weise wieder zusammenwachsen. Aber insgeheim ist allen Beteiligten klar, daß die Zusammenführung von Warlords in einer Regierung, wie in Sierra Leone vereinbart, oder in einer Armee, wie im Kongo vorgesehen, nicht gerade ein Rezept für Harmonie ist. Es vervollständigt vielmehr die Lähmung des Nationalstaats im Widerstreit der vielen in- und ausländischen Interessen. Die Bausteine einer neuen Ordnung sind eher in den Mechanismen der internationalen Überwachung des Friedens zu suchen, die eine dauerhafte Einbeziehung Afrikas in die Geschikke dieser beiden Länder garantieren.
Dafür gibt es bereits Beispiele. Das ehemalige Bürgerkriegsland Liberia hat seit dem Friedensschluß von 1996 keine nationale Armee, sondern eine internationale – die von Nigeria geführte westafrikanische Eingreiftruppe Ecomog. Die Zentralafrikanische Republik befindet sich in einem ähnlichen Zustand – die von Tschad geführte Eingreiftruppe, die den Krieg zwischen rivalisierenden Armeefraktionen vor zwei Jahren beendete, ist zu einer UN-Blauhelmmission mutiert, der die nationale Armee direkt untersteht.
In diesen Ländern neutralisiert das internationale Gewaltmonopol ansatzweise die gegensätzlichen ausländischen Allianzen der innenpolitischen Rivalen. Je mehr Länder ihre Innenpolitik auf diese Weise international absichern, desto schneller wird daraus eine panafrikanische Innenpolitik.
„Africa Must Unite“ nannte der Vater des Panafrikanismus, Ghanas erster Präsident Kwame Nkrumah, in den 60er Jahren sein programmatisches Werk über die Notwendigkeit der afrikanischen Einheit. Aber er zog den falschen Schluß: Die Vereinigung müsse auf der Ebene der Regierungen geschehen, und bis es soweit sei, müsse sein Land als leuchtendes Vorbild vorangehen, dem sich dann andere anschließen könnten.
Heute, wo der zerstörerische Hochmut von Regierungen sich in immer mehr Ländern sein eigenes Grab gräbt, sind die Afrikaner klüger. Die Einheit entsteht von unten. Und die Vorreiter sind nicht die blühenden Entwicklungsmodelle, sondern die trostlosesten Ruinenfelder jahrelanger Zerstörung, denen nichts anderes übrigbleibt. Dominic Johnson
Die Kriege in Sierra Leone und Kongo betrafen den gesamten KontinentDie afrikanische Politik hat endgültig den Rahmen des Nationalstaats verlassen
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