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„Frieden, Frieden, Frieden“

Hunderttausende demonstrierten in Belgrad gegen den Krieg/ Machtprobe fiel ins Wasser  ■ Aus Belgrad Roland Hofwiler

„Blut, das floß, ist auch das Blut eines Bruders.“ Worte der Versöhnung sprach gestern vor Hunderttausenden Menschen das Oberhaupt der serbisch-orthodoxen Kirche, Patriarch Pavle. Belgrad stand im Zeichen einer Massenkundgebung gegen den Krieg in Kroatien: Geschäfte waren geschlossen, Fabrikarbeit ruhte, die Pennäler hatten schulfrei.

Eigentlich war die Opposition angetreten, um zum Sturz des serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic und dessen Regierung unter der neokommunistischen Sozialistischen Partei auszurufen. In den letzten Wochen hatte man dafür 575.000 Unterschriften gesammelt. Doch die Massen, die kamen, waren nur zum Teil für solche Radikalforderungen zu begeistern. Da gab es zwar den zentralen Block des charismatischen Oppositionspolitikers Vuk Draskovic, mit Transparenten wie „Nieder mit Milosevic — es lebe der König“. Aber Tausenden, die gekommen waren, ging es schlicht um Frieden. „Frieden, Frieden, Frieden“ oder „Make love not war“, das waren Plakate, die die Stimmung widerspiegelten. Alles blieb friedlich. Dafür hatten sich nicht nur 5.000 Geheimpolizisten offiziell unter die Massen gemischt. Man hatte noch mehr initiiert: Alle elektronischen Massenmedien Serbiens berichteten live über den Massenaufmarsch. „Das Ereignis wurde praktisch neutralisiert“, kommentierte der alternative Stadtsender „B-92“.

Eine Rückblende: Genau vor einem Jahr, am 9. März, als es noch keine Auseinandersetzungen zwischen Slowenien und Kroatien gab, hatte Milosevic in Belgrad Panzer auffahren lassen, um eine spontane Massendemonstration von Studenten und Schülern gegen das „bolschewistische Regime“ im Keim zu ersticken. Soldaten gingen brutal gegen die Jugendlichen vor. Bilanz: zwei Tote, Hunderte Verletzte. Seitdem war der Neunte im Kalenderblatt jeden Monats ein Tag des Gedenkens und eine Machtprobe gegen die Regierenden. Bis der Krieg gegen Kroatien ausbrach. Dann verfing sich allerdings nicht nur Vuk Draskovic in Kriegsbegeisterung gegen Kroatien und stellte sich für die Operationspläne Milosevics zur Verfügung, das „faschistische Regime in Kroatien“ (Draskovic) zu stürzen. Zu spät sah man den Irrtum und setzte auf ein friedliches Ende des kroatisch-serbischen Konfliktes. Fortan wurde die Milosevic-Regierung für alle Greuel verantwortlich gemacht. Eine Rechnung, die nicht ganz aufging. Denn auch Milosevic erkannte, der Krieg gegen Kroatien ist nicht zu gewinnen, und schwenkte um.

Gestern gelang es ihm, seine eigenen Genossen auf die Straße zu schicken. Ihre Parolen, wenn auch nicht zahlreich: „Für Sozialismus und Frieden“ oder „Willkommen seid ihr UNO-Blauhelme“. Pavlusko Imsirovic, Aktivist des Anti-Kriegs-Zentrums, dazu fast resigniert: „Es ist verrückt, aber Milosevic hat es gepackt, aus einer Machtprobe ein Happening zu initiieren.“ Alle feierten nun das Kriegsende mit Kroatien, als habe es einen Eroberungskrieg und Tote nicht gegeben.

Während in Belgrad die Massen demonstrierten, gab es unter der Schirmherrschaft der EG in Brüssel Fortschritte auf dem Weg zu einer dauerhaften Verfassungsregelung in Bosnien-Herzegowina. Nach Angaben des serbischen Verhandlungsführers Radovan Karadzic stimmten die drei Völker gestern einem kroatischen Kompromiß zu, demzufolge Bosnien-Herzegowina als Föderation eigenständiger Staaten fortbestehen soll. Gleichzeitig räumte Karadzic ein, daß die Vertreter der moslemischen Bevölkerung nach wie vor starke Befugnisse für die zentralen Regierungsstellen in Bosnien-Herzegowina verlangten.

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