KAFKA IM AMT : Freizügigkeit
Angesichts der an der Gebäudefront des Amtes prangenden Ansammlung unzähliger Kürzel, die sich keck als „Infowand“ bezeichnet, entscheide ich mich mangels Erklärungshilfe spontan für eine Destination namens TTRR. Soweit ich mir das erschließen kann, residiert sie im zweiten Stock. Sie wird mir, wie ich hoffe, den entscheidenden Stempel der „Freizügigkeit“ auf mein Formular drücken, was auch immer der bedeuten mag. Wichtig jedenfalls ist er, so weit glaube ich die Fakten begriffen zu haben.
Der zweite Stock ist jedoch verwaist, der dritte lässt mich sehnsüchtig an die Leere des zweiten zurückdenken: Eingefrorene Wartenummern an den Wänden zeigen dreistellige Ziffern an, während sich auf dem verschwitzten kleinen Zettel in meiner verkrampften Hand eine 9 findet.
Da ich vor dem vierten Stock spontan diffuse Angst empfinde, setze ich mich in dem überfüllten Wartezimmer neben einen resigniert dreinblickenden Herren, der seine müden Augen auf mich richtet und „Kafka“ murmelt. Ich hoffe von Herzen, dass er sich dabei nichts gedacht hat, ein zweiter Blick auf seine verstörte Mimik lässt jedoch Schlimmes erahnen.
Die Tafel auf dem verwaisten Schreibtisch prognostiziert eine Mittagspause, meine Uhr verrät mir, dass sie bereits vorbei sein sollte.
Eine Stunde später öffnet sich die Tür, erwartungsvolle Blicke folgen einer Person, deren beschwingter Schritt darauf schließen lässt, dass sie nicht zu den Wartenden gehört, und die nun die entscheidenden Worte spricht: „Heute kein Parteienverkehr mehr!“ Der müde Mann nickt mir in resigniertem Triumph zu. Als ich den Raum verlasse, kommt mir eine junge Frau mit einem Formular in den Händen entgegen. „Kafka“, zische ich kaum hörbar und spüre ihren beunruhigten Blick im Rücken.
FRAUKE SCHMICKL