: Freiwillig kommt Honecker nicht
■ Nach der Anklageerhebung muß sich Chile entscheiden, wie es mit seinem Gast in Moskau verfahren will
Berlin/Santiago (ap/dpa/afp) — Der frühere DDR-Staatschef Erich Honecker will auf keinen Fall freiwillig sein Asyl in der chilenischen Botschaft in Moskau verlassen, jedenfalls nicht in Richtung Bundesrepublik. Wie sein Verteidiger Wolfgang Ziegler gestern in Berlin ausführte, denke Honecker so lange nicht an eine Ausreise nach Deutschland, wie der gegen ihn bestehende Haftbefehl nicht aufgehoben werde. Er gehe davon aus, daß Chiles Regierung seinen Mandanten zum Verlassen der Mission auffordern werde, allerdings nicht gewaltsam.
Der 79jährige ehemalige SED- Generalsekretär war am Freitag mit fünf weiteren ehemaligen Mitgliedern des Nationalen Verteidigungsrates wegen der Tötung von Flüchtlingen an der Berliner Mauer und der innerdeutschen Grenze von der Berliner Justiz formell angeklagt worden. Ziegler sagte, Honecker habe ihm mitgeteilt, daß er das gegen ihn eingeleitete Verfahren als politische Auseinandersetzung sehe, in dem „Sieger über Besiegte“ zu Gericht sitzen wollten.
Nach Artikel 13 des Internationalen Paktes für politische und bürgerliche Rechte sei in einem solchen — politischen — Fall eine Auslieferung unzulässig. Sollte es aber zu einer Ausweisung aus der chilenischen Botschaft kommen, wolle Honecker in Moskau ein Gericht in Chile anrufen.
Die Berliner Justizsenatorin Jutta Limbach (SPD) hat am Montag energisch der Behauptung Honeckers widersprochen, daß seine strafrechtliche Verfolgung politischen Charakter habe. „Gegen Honecker wird kein politischer Prozeß geführt.“
Der chilenische Präsident Patricio Aylwin selbst war am Wochenende mit widersprüchlichen Äußerungen aufgefallen. Einerseits hat er die Anklage gegen Honecker begrüßt, weil sie den Weg zur Beilegung des diplomatischen Konfliktes um den früheren Staats- und Parteichef freimache. Andererseits hat er in einem Zeitungsinterview die Aufnahme Honeckers in Chile nicht mehr für ausgeschlossen gehalten, was die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und dem lateinamerikanischen Land sicher nicht vereinfachen dürfte.
Aylwin begründete eine mögliche Aufnahme des alten SED-Chefs damit, daß sein Land noch eine moralische Schuld gegenüber Honecker habe. Zahlreiche Chilenen hätten ihr Leben retten können, weil sie während der Pinochet-Diktatur Asyl in der DDR fanden. Politisches Asyl wiederum lehnte er für Erich Honecker ab.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen