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Frauenrechtlerin über Hochzeitsmassaker"Es war ein Ehrenmassenmord"

Die kurdische Frauenrechtlerin Nebahat Akkoc über patriarchale Traditionen, Dorfschützer und Gewalt im türkischen Südosten.

"Gerade in ländlichen Gegenden leben patriarchale Traditionen fort." Bild: kamer foundation
Deniz Yücel
Interview von Deniz Yücel

taz: Frau Akkoc, auf einer Verlobungsfeier im südosttürkischen Mardin wurden 44 Menschen getötet - ein gewöhnlicher Vorfall in der Region?

Nebahat Akkoc

Die 53-jährige Frauenrechtlerin arbeitet bei der Stiftung Kamer in Diyarbakir. Ihr Mann wurde 1993 von Unbekannten ermordet.

Nebahat Akkoc: Nein. Ich beschäftigte mich seit 14 Jahren mit Gewalttaten in der Region, an ein Massaker solchen Ausmaßes kann ich mich nicht erinnern. Aber dass Menschen aus Gründen der Ehre oder aus Blutrache umgebracht werden, ist leider nichts Ungewöhnliches; gerade im Südosten und Osten der Türkei, aber nicht nur dort - denken Sie an die Amokläufe in Deutschland oder den USA.

Sie würden diesen Vorfall als Ehrenmord bezeichnen?

Nach allem, was bislang bekannt ist - ja, ein Ehrenmassenmord. Mörder und Ermordete sollen dem selben Clan entstammen. Ein Cousin wollte selbst die junge Frau heiraten. Gemäß der Tradition hätte er das Vorrecht gehabt. Aber die Familie des Mädchens gab sie einem anderen Bewerber. Der Cousin und seine Familien fühlten sich übergangen und in ihrer Ehre verletzt. Es kann aber auch sein, dass weitere Gründe eine Rolle spielten.

Das Mädchen hat bei der Frage, wen sie heiratet, nicht mitzureden?

Gerade in ländlichen Gegenden leben patriarchale Traditionen fort. Viele Mädchen können sich ihre Ehepartner nicht selbst aussuchen, sondern müssen den Mann heiraten, den ihre Familie ausgewählt hat. Und wenn sie sich widersetzen, müssen sie mit Gewalt rechnen.

Ist das immer noch so? Immerhin hat die türkische Regierung in den vergangenen Jahren mit einer Reihe von Reformen die Rechte der Frauen gestärkt.

Wir sind in den letzten Jahren wirklich ein gutes Stück vorangekommen: Gesetze haben sich geändert; Frauen, die sich an uns wenden, haben jetzt die Möglichkeit, Polizeischutz zu bekommen, wenn sie es wünschen. Zugleich stoßen wir noch immer auf Widerstände, wenn es gilt, die Gesetzesänderungen in die Tat umzusetzen.

Ein Beispiel?

Zum Beispiel haben wir es immer wieder mit Staatsanwälten oder Polizeibeamten zu tun, die Gewalt gegen Frauen nicht ahnden, weil sie selbst traditionellen Vorstellungen anhängen. Oder: Der Ministerpräsident stellt ein Programm für die Bekämpfung von Ehrenmorden vor, aber noch drei Jahre danach gibt es keine finanziellen Mitte dafür. Ein Wandel der Mentalität dauert lange.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen Ehrenmorden und dem Bürgerkrieg in den kurdischen Gebieten?

Gewalt steigert Gewalt, und der bewaffnete Konflikt zwischen dem Staat und der PKK trägt zur Qualität und zur Quantität der Gewalt in der Region bei. Aber das grundsätzliche Problem besteht darin, dass Gewalt als legitimes Mittel für die Austragung von Konflikten angesehen wird. Das grundsätzliche Problem ist die traditionelle Mentalität, ist das sexistische System.

Die prokurdische DTP macht den Staat für das Massaker verantwortlich, weil er die Mörder zu Dorfschützern ernannt und mit Waffen ausgestattet hat.

Da ist etwas dran, aber die Abschaffung der Dorfschützer allein würde an dem Problem nichts ändern. In der Türkei ist es ungemein einfach, an Waffen heranzukommen. Und bei aller Kritik am Staat, die DTP macht es sich zu einfach, wenn sie immer nur den Staat kritisiert, aber nie Sexismus und patriarchale Traditionen auch in der kurdischen Gesellschaft thematisiert.

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15 Kommentare

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  • BH
    Bernhard H. Johannes Wagner

    Ein a u s g e z e i c h n e t e s Interview mit überdurchschnittlich guten Hintergrundinformationen zu diesem komplexen (teilweise sehr traurigen) Thema.

    Wirklich s u p e r !

     

    Ergänzen möchte ich noch, was viele hierzulande oft gerne vergessen, dass auch in Ländern wie Deutschland bis ins 19., ja 20. Jahrhundert hinein Eheschließungen mit großem Druck der jeweiligen Familien auf das Paar erfolgten, und auf die Frau wahrscheinlich meist mit mehr Druck, als auf den Mann.

     

    Das verstößt, übrigens, gegen die Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen vom 10.12.1948.

     

    Artikel 16, Absatz 2 lautet: "Die Ehe darf nur auf Grund der freien und vollen Willenseinigung der zukünftigen Ehegatten geschlossen werden." Und der zweite Satz von Absatz 1 (ebd.) lautet: Sie haben bei der Eheschließung, während der Ehe und bei deren Auflösung die gleichen Rechte.

  • K
    kohlhaas

    @ christine rölke-sommer:

    kann ihnen nur zustimmen!

    diese mannekens würden doch noch heute als morgen das rad der feministischen (aber auch der modernen) errungenschaften zurückdrehen wollen.

     

    @ stinkfuss:

    es vergeht kaum eine woche, in der in deutschland tote (auch vernachlässigte, maltretierte, vergewaltigte) kinder oder babys in küklschränken oder blumentöpfen entdeckt werden. oder in österreich, italien: jahrzehntelanges einsperren und erniedrigungen von menschen. allerdings käme niemand auf die idee die deutsche oder westliche kultur, mentalität oder gar die religion dafür verantwortlich zu machen. in winnenden oder erfurt sind ja auch "nur" 15 bzw. 17 personen umgekommen. daher sind wir gott sei dank beruhigt! auch die hiesigen "wegsperren-für-immer-mentalität" oder "todesstrafenforderungs-mentalität" sind keinen deut besser.

    ehrenmord ist kein kurdisches oder türkisches spezifikum. vorfälle in deutschland (westl. welt) sind für uns nur: familiendramen und diverse tragödien. stimmt´s? ist letzten endes nicht die sogenannte "verletzte ehre" der möchtegern-männer oftmals der auslöser? aber nein, sie als ehrenmorde zu bezeichnen würde den "bogen überspannen".

     

    @ schlechtmensch:

    nomen est omen, was soll man ihnen noch sagen. möge gott sie mit ratio und liebe segnen.

     

    @ leser:

    am besten gleich und sofort maul halten. die geschehnisse in deutschland (siehe oben) sind also nicht archaisch?! oder?!

  • CR
    christine rölke-sommer

    @taz-leser (wirklich leser?): Sie sind das beste beispiel für das, was nun wirklich 'archaisch' zu nennen ist, nämliche männliches hegemonialgehabe.

    bei denen einen drückt es sich so aus, dass sie mal eben eine halbe/ganze sippe abmurksen, bei den anderen kommt es darin zum ausdruck, dass sie sich weigern, das konstrukt des nationalstaats zu verstehen. was allerdings um so schlimmer ist, weil damit einhergeht, dass die einen bi-ba-butze-männer glauben, die anderen bi-ba-butze-männer archaisch nennen zu dürfen.

    Gehn'se am besten noch mal lesen lernen!

  • TL
    taz Leser

    Auch sorry, Frau Doppel-Nachname, aber ihr FeministInnengeschwurbel a la

     

    "der nationalstaat ist ein androzentrisches 'gewächs', weshalb staats-territorium und familienbesitz an land und macht als hegemonialmacht in eins fallen. hegemonialmacht wiederum ist als männliche definiert, und (...)"

     

    hat mit dem Vorfall in der Türkei genau so viel zu tun wie der Wetterbericht für Groß-Gerau:

     

    Nichts.

     

    Dort ging es um archaische Sitten und Verhältnisse, die selbst heutzutage noch in der Region als gültig und selbstverständlich angesehen werden. Nicht um irgendwelche mühsam zusammengestoppelten Konstrukte, wie in ihrem Beitrag. So einfach ist das.

  • CR
    christine rölke-sommer

    irrtum! @David Grossfuss, genau der bogen muß gespannt werden! anders als durch aufzählung all der 'phänonomene, in denen sie auftritt, läßt sich hegemoniale männlichkeit nun mal nicht benennen, kritisieren und am ende überwinden. hören männers hierzulande nicht gern - ich weiß...

  • HK
    Hans Kreiser

    Ja, die Kurden werden immer noch unterdrückt, aber nicht von anderen, sondern von Ihresgleichen. Aber das ist natürlich bei den kurdischen Extremisten von der DTP, die der Terrororganisation PKK nahe stehen, überhaupt kein Thema. Schlimmer geht es zu im kurdischen Nordirak, auch das ist nirgends ein Thema. Stichwort Genitalverstümmelung von kurdischen Frauen, eine menschenverachtende Praxis, was nirgends sonst im Irak zu finden ist, ausser im kurdischen Nordirak, wo laut Menschenrechtsorganisationen auf dem Lande über 80% der Frauen betroffen sind und in den kurdischen Städten im Nordirak sind es weiterhin erschreckende 40%. Aber das ist wie gesagt nirgends ein grosses Thema. Hängt man am besten nicht an die grosse Glocke. So wird den Frauen ganz bestimmt (nicht) geholfen.

  • BW
    Besser Wissen

    Sehr geehrter Herr Großfuß,

     

    warum sollte es Frau Akkoc denn peinlich sein aus einer bestimmten Region zu kommen ? Ist es Ihnen Herr Großfuß peinlich aus der BRD zu kommen wegen sehr viele Mißstände hierzulande ? Das Denken in nationalen, regionalen Kathegorien ist ein Merkmal kleinkarierter Menschen.

  • K
    Koc.V

    Die Ehrenmorde und Blutrachen gehen auch einbisschen auf den Islam zurück.Die religiös geprägten Menchen schenken natürlich den

    vermeintlich heiligen Büchern Glauben.Die patriarchale Tradition spielt dabei ganz gewiss eine bedeutende Rolle,aber der falsch übermittelte, willkürlich ausgelegte Islam beeinflusst die kurdische Bevölkerung negativ, vor allem sunnitisch orientierte Bevölkerund der Region.

    Und man darf den feudalistischen Aspekt, die Ungebildetheit nicht ausser Acht lassen.Die türkische Regierung machte auch viele Mörder zum Dorfschützern, ohne Rechersche der Vergangenheit dieser Menchen.

  • SM
    S. Mittler

    "Die türkische Gemeinschaft und der türkische Mensch, wohin sie auch immer gehen mögen, bringen nur Liebe, Freundschaft, Ruhe und Geborgenheit mit sich. Hass und Feindschaft können niemals unsere Sache sein. Wir haben mit Streit und Auseinandersetzung nichts zu schaffen."

     

    Recep Tayyip Erdogan am 11. Februar 2008 in Köln

  • B
    Bender

    Die DTP ist die Partei mit der höchsten Frauenquote in der Türkei.

    Sie haben diverse Frauenkooperativen/räume in den kurdischen Regionen mitaufgebaut und unterstützt und Kampagnen gegen Gewalt gegen Frauen und sogenannten "Ehrenmorden" inziniert und mitgetragen.

    In mehreren Städten in denen die DTP die Stadtverwaltung inne hat, steht in den Tarifverträgen der Mitarbeiter, das Gewalt gegen Frauen und Pologamie Kündigungsgrund ist.

    Nur um ein Beispiel zu nennen.

    Sie versuchen mit Stadtteilräten und Frauenräten alte Strukturen zu überwinden und die Bevölkerung mit einzubinden.

    Zu behaupten das sie nie Sexismus und patriarchale Traditionen auch in der kurdischen Gesellschaft thematisiert ist unverschämt.

    Ich war in den letzten Jahren oft in der kurdischen Region und habe viele Frauenprojekte, und Frauenkommsionen der DTP besucht.

  • S
    Schlechtmensch

    Merkt es denn niemand? Islam plus archaische Hirten-Traditionen = Barbarei. Würde sich bitte jemand in diesem grünlinken Gutmenschen-Tempel hier mal bitte aufregen? Vielleicht auch die Tante, die alles klein schreibt (grammatik als revolutionärer ausdruck der counter-culture) und von dem Massaker als Machtproblem faselt.

     

    Wo bleibt bitte die Erregung wie beim "Kampf gegen Rechts"? Diese widerlichen Barbaren-Strukturen wie in Kurdistan finden sich auch beim abgeschotteten islamischen Prekariat im Westen, das die Sozialkassen abzockt und ganze Viertel zu "no-go-areas" für Nicht-Moslems erklärt.

     

    Der Aufschrei bleibt bei deutschen Frauenrechtlern und sonstigen Kämpfern für Menschenrechte (wenn es gegen die USA und den Westen geht) aber aus - der Islam ist ja ein Verbündeter im Kampf gegen den Kapitalismus. Damit lassen die Appeaser mutige Frauen wie Kelek, Schwazer oder Cileli im Regen stehen.

  • TL
    taz Leser

    Na, jetzt warte ich aber ganz gespannt auf einen Kommentar von Frau Heide Oestreich, in dem sie das Geschehen relativiert und darauf hinweist, dass man das mit "den richtigen sozialen Angeboten" hätte verhindern können...

     

    [/sarkasmus]

  • DG
    David Großfuss

    Ich kann ja nachvollziehen das es Frau Akkoc mehr als peinlich ist aus einer Region zu stammen in der im 21. Jahundert immer noch mittelalterliche Traditionen herrschen, Demokratie bloß auf dem Papier steht und Frauen ähnlich wie auf Viehmärkten mit Vorkaufsrecht verschachert werden. Aber hier einen Bogen zwischen Amokläufen in der BRD oder USA zu spannen ist ja nun völlig daneben, oder etwa so wie Äpfel mit Birnen zu vergleichen.

  • E
    ElToro

    Schandenmorde triffts doch besser. Ich nenne einen Amoklauf ja auch nicht Befreiungsschlag.

  • CR
    christine rölke-sommer

    sorry, aber: der inflationäre gebrauch von ehren-mord, kombiniert mit was auch immer, erklärt langsam garnichts mehr! sondern vernebelt nur den blick auf die strukturen, die dahinter liegen. diese sind: eigentum über grund und boden in verbindung mit nationalstaatlich definierter hoheitsgewalt. der nationalstaat ist ein androzentrisches 'gewächs', weshalb staats-territorium und familienbesitz an land und macht als hegemonialmacht in eins fallen. hegemonialmacht wiederum ist als männliche definiert, und beinhaltet auch macht über die körper der frauen. vor dem hintergrund wird vielleicht klarer, warum ein clan den anspruch auf eine frau als körper und land (beides fruchtbar zu machender grund und boden) und macht mit waffengewalt durchsetzt - oder den machtzuwachs an einen anderen clan mit waffengewalt verhindert.

    so ungefähr, denke ich, könnte ein verstehens - und erklärungsversuch ansetzen...

    um dabei rauszukommen, dass es nicht um verletzte intime gefühle geht sondern um 'verletzten' machtanspruch.