piwik no script img

Frauenrechte in die Verfassung

■ DGB-Frauen und DDR-Politikerinnen fordern gesetzliche Absicherungen

DOKUMENTATION

Aufruf von führenden DDR-Politikerinnen und Gewerkschafterinnen aus der Bundesrepublik und der DDR:

Wir Frauen in Führungspositionen der DDR-Regierung, DDR -Parteien und der Gewerkschaften in der Bundesrepublik Deutschland und in der DDR sind heute auf Initiative des DGB zusammengekommen, um die Rechte und Anliegen von Frauen in bezug auf die Erwerbstätigkeit sowie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Zusammenhang mit der deutschen Vereinigung zu beraten.

Dabei stellen wir mit Besorgnis fest,

-daß der gesamtdeutsche Einigungsprozeß bereits jetzt zu erheblichen Nachteilen bei Frauen führt. So steigt in der DDR die Arbeitslosigkeit von Frauen, vor allem alleinerziehenden mit aufsichtsbedürftigen Kindern, überdurchschnittich an. Frauen sind besonders davon betroffen, wenn Kinderbetreuungseinrichtungen in den Betrieben und Kommunen geschlossen werden. Dies alles wird auch negativ auf die Situation der Frauen in der Bundesrepbulik zurückwirken;

-daß unter Umgehung des zukünftigen gesamtdeutschen Gesetzgebers schon einige auf die Chancengleichheit der Frauen zielende günstigere rechtliche Bestimmungen der DDR durch Streichungen und Änderungen des Arbeitsgesetzbuches auf Verlangen der Bundesregierung aufgegeben wurden;

-bei den Beratungen zum 2. Staatsvertrag vom 6. August 1990 das weitergehende Gleichberechtigungs- und Chancengleichheitsgebot des Artikels3 Grundgesetz der Bundesrepublik weiterhin umstritten ist, obwohl das Ministerium für Arbeit und Soziales der DDR es als notwendig bezeichnet hat, insbesondere die Gleichbehandlung von Frau und Mann als Staatszielbestimmung in einer neuen Verfassung Deutschlands aufzunehmen;

-daß mit der Streichung der Pflicht zur Arbeit in Artikel24 der alten DDR-Verfassung bedauerlicherweise gleichzeitig auch das Recht auf Arbeit sowie die Verpflichtung zur Zahlung des gleichen Lohnes an Frauen und Männer bei gleicher Arbeitsleistung wegfällt;

-daß der in der DDR bestehende Rechtsanspruch auf Kindereinrichtungen und die günstigere rechtliche Grundlage für die Freistellung eines Elternteiles bei der Erkrankung von Kindern weiterhin umstritten ist.

Wir fordern daher

-die beiden derzeitigen deutschen Parlamente, den Deutschen Bundestag und die Volkskammer, mit Blick auf die Beratungen und Beschlußfassungen des zukünftigen gesamtdeutschen Gesetzgebers auf, unsere gemeinsamen Forderungen in der nachfolgenden Entschließung zum 2. Staatsvertrag einzubringen;

-Artikel3 des Grundgesetztes dahin zu ergänzen, daß bis zu einer tatsächlichen Herstellung gleicher Lebenschancen für Frauen und Männer besondere Maßnahmen zur Förderung des benachteiligten Geschlechtes ausdrücklich zugelassen werden und eine staatliche Aufgabe darstellen. Auf diese Weise könnten vorübergehend Maßnahmen zur Frauenförderung getroffen werden;

-verfassungsmäßige Verankerung eines Rechts auf Arbeit und Arbeitsförderung - allerdings nicht wie bisher in der DDR -Verfassung als individuelles Recht, verknüpft mit dem Zwang und der Zuweisung für Arbeit. Ein an demokratischen und freiheitlichen Grundsätzen gemessenes Recht auf Arbeit sollte verstanden werden als Verpflichtung des Staates zur Vollbeschäftigung, wobei diese Beschäftigung frei gewählt und produktiv zu sein hat sowie humane Arbeitsbedingungen unter ausreichender sozial- und arbeitsrechtlicher Sicherung geboten werden müssen;

-Erhaltung der rechtlichen Möglichkeiten im Arbeitsförderungsgesetz-DDR zu einer großzügigeren Gewährung von Kurzarbeitergeld im Zusammenhang mit Qualifizierungsmaßnahmen sowie der Förderung von Beschäftigungs- beziehungsweise Qualifizierungsgesellschaften. Diese rechtlichen Möglichkeiten müssen von Betrieben, Verwaltungen und Arbeitsämtern stärker für die von Arbeitslosigkeit und Entlassungen besonders stark betroffenen Frauen genutzt werden. Hierzu müssen die in einigen Tarifbereichen geschaffenen tariflichen Möglichkeiten zur Koppelung und finanziellen Aufstockung von Kurzarbeitergeld und Qualifizierung benutzt werden. Die öffentliche Hand ist aufgefordert, für diese Qualifizierungsmaßnahmen mehr finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen als bisher vorgesehen. Erforderlich ist eine konzertierte Aktion zwischen Arbeitgebern, Gewerkschaften und öffentlicher Hand zur Aus- und Weiterbildung, wobei Frauen besondere Berücksichtigung finden müssen. Zwischen finanzstärkeren und finanzschwächeren Unternehmen müßte über gemeinsame Fonds oder Sozialkassen ein finanzieller Ausgleich geschaffen werden;

-Im Rahmen der öffentlichen Finanz- und Wirtschaftspolitik Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen, insbesondere auch für Frauen. Dies ist eine wesentliche strukturpolitische Aufgabe auch an die Treuhandgesellschaft. Hierzu bedarf es einer ausreichenden Mitbestimmung der Gewerkschaften. Die bisherige Entscheidung, bei der Treuhandanstalt weder im Verwaltungsrat noch im Vorstand Gewerkschaftsvertreter hinzuzuziehen, ist dringend zu korrigieren. Die Bundesregierung ist aufzufordern, mehr finanzielle Mittel für die Förderung öffentlicher Infrastruktur zur Verfügung zu stellen und hierbei insbesondere auch die Förderung von Frauenarbeitsplätzen vorzusehen;

-der in der Bundesrepublik vorherrschende Trend zu nicht oder gering geschützten Arbeitsverhältnissen gerade für Frauen darf nicht fortgesetzt werden: Alle Teilzeitarbeitsverhältnisse sind grundsätzlich mit der Verpflichtung zur Sozialversicherung zu versehen. Leiharbeit ist zu verbieten, zumindest jedoch im Bausektor wie in der Bundesrepublik; Heimarbeit und der Trick mit den neuen Selbständigkeiten sind auf ein sozial vertretbares Maß zu beschränken und sozial ausreichend abzusichern;

-Erhaltung des Sozialzuschlages bei der Renten- und Arbeitslosenversicherung in der DDR, die insbesondere der sich ausbreitenden Armut unter Frauen entgegenwirken kann. Einführung einer Mindestsicherung für Rentner und Arbeitslose im gesamten Deutschland;

-Einführung eines Rechtsanspruchs auf Kinderbetreuungseinrichtungen, wobei bestehende Einrichtungen in der DDR zu erhalten und qualitiativ ausreichend auszustatten sind und die vorhandenen großen Defizite in der Bundesrepublik beseitigt werden müssen;

-Ausdehnung des Betreuungsurlaubs von Eltern bei Erkrankung ihrer Kinder auf mindestens zehn Tage im Jahr für jedes Kind;

-Berücksichtigung der tariflichen Erfolge der Gewerkschaften bei der Verkürzung der täglichen und wöchentlichen Arbeitszeit in der Bundesrepublik bei der Erarbeitung eines gemeinsamen Arbeitszeitgesetzes im geeinten Deutschland;

-Erarbeitung einer gemeinsamen Regelung zum Schwangerschaftsabbruch mit der Zielrichtung: Entkriminalisierung von Frauen durch die Herausnahme aus dem Strafgesetzbuch und die Übernahme der in der DDR geltenden Fristenregelung, ergänzt durch ein quantitativ und qualitativ ausreichendes Angebot von Beratungseinrichtungen in beiden Teilen Deutschlands, wobei die Inanspruchnahme dieser Beratung freiwillig zu sein hat und vertraulich zu behandeln ist.

Ursula Engelen-Kefer, stellv. DGB-Vorsitzende; Christiane Bretz, stellv. Vorsitzende des DGB-Landesbezirks Berlin; Britta Naumann, stellv. Vorsitzende der GEW; Margret Mönig -Raane, Mitglied des Vorstandes der HBV; Ulrike Peeretzki -Leid, Mitglied des Vorstandes der ÖTV; Waltraud Hesedenz, Mitglied des Vorstandes der GTB; Ursula Tölle, Abteilungsleiterin beim DGB-Bundesvorstand; Marianne Sandig, Mitglied des Sprecherrates der DDR-Gewerkschaften und Vorsitzende der Gewerkschaft Land, Nahrungsgüter und Forst; Brigitte Schröder, Mitglied des Vorstandes der IG Bergbau -Energie-Wasserwirtschaft; Christiane Stolzenberg Mitglied des Vorstandes der IG Druck und Papier der DDR; Michaela Markwardt, Abteilung Jugend/Frauen/Bildung der IG Metall -DDR; Heidrun Simon, Abteilung Kultur/Bildung der Gewerkschaft Kunst, Kultur, Medien der DDR; Dr. Regine Hildebrandt, Ministerin für Arbeit und Soziales der DDR; Helga Kreft, Staatssekretärin im Ministerium für Familie und Wirtschaft der DDR; Konstanze Krehl, stellv. Vorsitzende der SPD-Volkskammerfraktion

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen