Frauenkrimis: Wo Serienkiller nur ablenken
In seiner Ariadne-Reihe bringt der Hamburger Argument-Verlag Krimis mit sozialkritischem Anspruch heraus. Einst im Sog der Frauenbewegung entstanden, entwickelte sich so ein neues Genre: der Krimi, in dem der Mord zur Nebensache wird.
Einen richtig schlechten Krimi erkennt Else Laudan bereits nach wenigen Seiten. "Wenn eine Geschichte völlig harmlos vor sich hin plätschert", sagt die Lektorin. Harmlos - damit meint Laudan berechenbare und blutspritzende Kriminalromane. Solche, bei denen sich der Magen umdreht. Krimis, in denen ein brummiger Kommissar nach 400 Seiten, etlichen Frauengeschichten und Verfolgungsjagden einen psychopathischen Mörder aus dem Schlapphut zaubert.
Die Romane, die Else Laudan in der Ariadne-Reihe des Hamburger Argument-Verlags herausbringt, haben einen anderen Anspruch. "Krimis von Frauen über Frauen" könnte der Arbeitstitel der Reihe lauten. Doch wäre das zu kurz gegriffen. "Unsere Autorinnen und wir haben eine gemeinsame Utopie", sagt Laudan. Um in der Krimi-Reihe zu erscheinen, müsse ein Buch einen gewissen politischen Gehalt haben. Abseits vom Mainstream haben Ariadne-Krimis den selbst gestellten Anspruch, herrschafts- und sozialkritisch zu sein, vor allem aber das schiefe Rollenbild von Männern und Frauen in Romanen zu begradigen.
Die Frauen, die zwischen den meist schwarzen Buchdeckeln ermitteln, könnten unterschiedlicher nicht sein. Die taffe Lisa Nerz beispielsweise stolpert seit acht Krimis über Leichen. Die Stuttgarterin ist verwitwet, wegen eines Erbes vermögend, bisexuell und Dackelbesitzerin. Ihre Schöpferin Christine Lehmann hat es mit Lisa Nerz sogar schon zwei Mal in die Krimiwelt-Bestenliste des Fernseh-Senders Arte geschafft. Doch der richtig große - mit Bestseller-Maßstäben gemessene - Durchbruch kam bisher noch nicht. Für das Mainstream gewohnte Leserauge ist Lisa Nerz womöglich zu kantig, zu rau. Eine Frau, die Pils trinkt, gerne Anzüge trägt und ignoranten Mitarbeitern des Jugendamtes schon mal Prügel androht - so eine Frau hat es nicht einfach in der männerdominierten Krimilandschaft.
Gegründet wurde die erste deutsche Frauenkrimireihe 1988 von der Soziologin Frigga Haug.
Fast 150 Krimis sind mittlerweile bei Ariadne erschienen.
Der Anspruch: Unterhaltungsliteratur, ohne den Verstand abschalten zu müssen.
Bekannte Autorinnen sind unter anderen Dagmar Scharsich, Monika Geier und Christine Lehmann. Geier und Lehmann haben es auf die Krimiwelt-Bestenliste geschafft.
Der Name Ariadne leitet sich von einer kretischen Fruchtbarkeitsgöttin ab. In der griechischen Mythologie ist sie die Tochter des Königs Minos. Dank ihres Fadens fand der athenische Königssohn Theseus aus dem Labyrinth des Minotaurus heraus.
Auch das 2009 erschienene Krimi-Debüt "Freitags isst man Fisch" des Autorenduos Bohnet Pleitgen erfindet eine Ermittlerfigur fernab jeder Tatort-Routine. Nikola Rührmann ist keine Kommissarin, dafür aber eine trinkfeste Physikstudentin an der Universität Hamburg. Es ist 1989, eine Zeit vor Handys und Internet, eine Zeit, in der im Schanzenviertel der schwarze Block noch für die Hafenstraße demonstriert. Die Eigenbrödlerin Nikola verkehrt in der linken Szene und verliebt sich in die schöne Julia. Um diese zu beeindrucken, schlittert sie in eine private Mord-Ermittlung hinein, die sie durch ganz Hamburg führt.
Für Lektorin Else Laudan muss in einem guten Krimi jedoch nicht zwingend ein Mensch gewaltsam sterben. "Der Mord ist für mich die Zuspitzung, die im Krimi-Genre verankert ist", sagt sie. Eine Geschichte bedürfe also nicht unbedingt eines blutigen Mordes, um spannend zu sein. "Spannung wird durch andere Dinge erzeugt", sagt Laudan. Durch ein bestimmtes Tempo zum Beispiel oder den richtigen sprachlichen Rhythmus und natürlich durch gute Charaktere.
Else Laudan muss es wissen. Seit die gebürtige Berlinerin vor 21 Jahren die Verantwortung für die Ariadne-Krimireihe übernahm, sind schon weit über 3.000 Manuskripte über ihren Tisch gegangen. "Das ist oft ein kulturpessimistischer Querschnitt dessen, was bereits am Markt ist", sagt die diplomierte Soziologin. Was sie wirklich nicht mehr lesen möchte, seien Psychokrimis mit Serienkillern. "Das lenkt doch nur von den echten Missständen ab", sagt sie. Statt seitenlanger Gewaltszenen müsse ein guter Autor schließlich ein Anliegen haben und dieses in seinen Büchern umsetzen. Henning Mankell sei ein gutes Beispiel dafür, dass diese Erwartung nicht überzogen ist, sondern durchaus auch im Mainstream gelingen kann. "Das ist Aufklärung durch Krimis im besten Sinn", sagt Laudan.
Von den Umsätzen eines Mankell-Romans ist die Ariadne-Reihe allerdings noch weit entfernt. Der kleine Argument-Verlag, der mit seiner gleichnamigen Zeitschrift für Philosophie und Sozialwissenschaften bekannt geworden ist, hat weder einen Werbe-Etat, noch kann er Vorauszahlungen für die Autorinnen leisten. Von einer Roman-Idee bis zur ersten finanziellen Entschädigung können manchmal Jahre vergehen. Viele Ariadne-Autorinnen müssten deshalb anderweitig arbeiten gehen, um sich den Traum vom Schreiben zu leisten. Verlassen habe den Verlag aber trotz der widrigen Umstände noch keine, sagt Laudan stolz. "Das liegt auch daran, dass wir zusammen sehr hart am Text arbeiten."
Mehr als 150 Krimis sind in den vergangenen 21 Jahren in der Ariadne-Reihe erschienen. Für den Argument-Verlag, bis dahin bekannt für seine akademische Aufklärungsliteratur, war es anfangs nicht leicht, sich im populären Krimi-Genre zu behaupten. Ohne jede Kenntnis von den Mechanismen des Mainstream-Marktes, aber voller Ideale kamen die allerersten Frauenkrimis heraus. "Das war damals etwas völlig Neues", erinnert sich Laudan an die 1980er Jahre, als die feministische Frauenbewegung ihren Höhepunkt hatte.
Mit Ariadne entdeckte die Leserschaft das Krimi-Genre neu. Das merkten auch schnell die Großen und sprangen auf den Zug auf - um den kleinen Verlag aus Hamburg zu überholen. "Es war wirklich verblüffend", sagt Laudan. Plötzlich brachte der Fischer-Verlag Frauenkrimis heraus, sogar Bastei-Lübbe und Knaur zogen nach.
Es war eine schwierige Zeit für die Ariadne-Reihe: Zu den finanziellen Problemen kamen ideologische, denn die feministische Bewegung verlor an Kraft, und immer mehr Frauenbuchläden machten dicht. Der Verlag stemmte sich dem Untergang entgegen, indem er sich auf deutsche Autorinnen spezialisierte. Das war vor etwa zehn Jahren. Es habe lange gedauert, bis sich das herumgesprochen habe, sagt Laudan.
Sie und ihre Mitarbeiterinnen seien jedoch optimistisch. "Die alten Krimihasen", wie Laudan sie nennt, seien mittlerweile gelangweilt und auf der Suche nach etwas Neuem. Früher oder später lande sowieso jeder bei Ariadne, der einen hohen sprachlichen Anspruch habe, sagt sie selbstbewusst. Zunehmend würden auch Männer die Nischenkrimis lesen.
Bliebe nur die Frage, ob die gesellschaftskritischen Romane zukünftig auch jüngere Leser begeistern könnten. "Es ist spannend zu sehen, wie wir das schaffen werden", sagt Laudan.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe