Frauenhäuser unter Druck: Weniger Plätze, weniger Zeit
500.000 Euro will Schleswig-Holstein bei den Frauenhäusern sparen. Hilfesuchende werden vermehrt in die Nachbarländer ausweichen müssen. Auch in Hamburg müssen die autonomen Frauenhäuser schon heute jedes Jahr hunderte Frauen und Kinder weiterschicken - unter anderem nach Schleswig-Holstein.
Wird es ein schwarzer Freitag? Die frauenpolitischen Sprecherinnen aller Fraktionen im Kieler Landtag kommen heute zusammen, um einen Blick in die Zukunft zu werfen. Und die sieht aller Wahrscheinlichkeit nach düster aus.
Geht es nach den vor zwei Wochen von der Landesregierung verkündeten Kürzungen, sollen die schleswig-holsteinischen Frauenberatungsstellen in den nächsten zwei Jahren 100.000 Euro weniger bekommen. Derzeit werden sie noch mit 1,05 Millionen gefördert. Die 16 Frauenhäuser im Land sollen - statt zuletzt 4,1 Millionen Euro im Jahr - rund 500.000 weniger bekommen.
Komplett gestrichen werden die Zuschüsse für Mädchentreffs, das Langzeitarbeitslosenprojekt "Frau und Beruf" oder auch den Landesfrauenrat. Für diese Einrichtungen bedeuten die Sparmaßnahmen von Schwarz-Gelb das Aus.
Was es kostet, wenn ein Ehemann seine Frau verprügelt, haben die schleswig-holsteinischen Frauenhäuser errechnet.
Der Einsatz von Polizei und Notarzt macht fast 580 Euro.
Eine Woche Krankenhaus für die Frau: etwa 1.300 Euro.
Eine Woche Inobhutnahme der beiden Kinder: 1.960 Euro.
Zwei Jahre Haft wegen Körperverletzung: 33.000 Euro.
Psychotherapie für Frau und Kinder kosten knapp 5.300 Euro.
Ein Jahr sozialpädagogische Familienhilfe für die Familie, drei Stunden in der Woche: 7.714 Euro.
Insgesamt können so Kosten von bis zu 115.000 Euro entstehen.
Ursula Schele vom Landesverband Frauenberatung rechnet damit, dass kleinere Frauenhäuser fusionieren müssen oder in jedem Landkreis nur noch je eines finanziert wird. "In der Notrufarbeit", sagt sie, "werden sich die Zeiten drastisch verkürzen". Hilfesuchenden Frauen könne dann nicht mehr die Aufmerksamkeit gewidmet werden, die sie eigentlich benötigten.
Nach Angaben der Landesregierung sind es weit mehr als 2.000 Frauen und Kinder, die jedes Jahr wegen häuslicher und psychischer Gewalt in die schleswig-holsteinischen Frauenhäuser flüchten. Was aus ihnen wird, wenn die Hilfsangebote wegen Einsparungen wegbrechen? "Es werden viel mehr Frauen verrentet", sagt Schele, "und noch mehr als jetzt müssen in Kliniken".
Dabei sind die Folgekosten häuslicher Gewalt hoch: Ein Mann, der seine Frau verprügelt, kostet das Land und den Bund zusammen rund 115.000 Euro - inklusive Polizei- und Notarzteinsatz, Inobhutnahme der Kinder und anschließende Therapien. Satte 14,5 Milliarden Euro kommen da jedes Jahr bundesweit zusammen, haben die schleswig-holsteinischen Frauenhäuser ausgerechnet.
In Itzehoe fragen sich die Frauenhaus-Mitarbeiterinnen, wie sie künftig über die Runden kommen sollen. "Wir müssen dann etwa 22.000 Euro im Jahr selbst einwerben", sagt Christiane Busse - damit wären die laufenden Kosten gedeckt. Einsparmöglichkeiten gebe es keine, sagt Busse verärgert. "Wenn wir es nicht schaffen, Gewalt zu verhindern, dann müssen wir es doch wenigstens hinkriegen, die betroffenen Frauen aufzunehmen."
Hilfesuchende Frauen aus Schleswig-Holstein werden künftig verstärkt in anderen Bundesländern unterkommen müssen. Engpässe gibt es allerdings auch bei den Nachbarinnen: So können die fünf autonomen Frauenhäuser in Hamburg derzeit jedes Jahr mehrere hundert Frauen und Kinder nicht aufnehmen: wegen Platzmangels. Diese Betroffenen werden wiederum weitervermittelt, sagt die Frauenhaus-Mitarbeiterin Verena Roller-Lawrence: nach Bremen oder auch mal nach Bayern - und nach Schleswig-Holstein.
Seit 2002 seien kontinuierlich die Finanzmittel seitens der Stadt gekürzt worden, 2008 fror die Sozialbehörde dann den Stellenschlüssel der Frauenhäuser ein. Auf eine Mitarbeiterin kommen seitdem 8,25 Plätze. Zu viel, um sich wirklich mit den Opfern auseinander zu setzen, sagt Roller-Lawrence. Wenn, wie momentan, die Häuser voll belegt sind, bleibe nur wenig Zeit für Beratungen, erste Krisengespräche oder auch die Schuldenberatung.
Um wenigstens etwas Abhilfe zu schaffen, richten die Hamburger autonomen Frauenhäuser am kommenden Sonntag wieder einen Benefizlauf aus. Was dabei zusammenkommt, fließt direkt an die Bewohnerinnen, zum Beispiel für Kinderfeste. "Wir leisten uns damit Dinge", sagt Roller-Lawrence, "die von staatlichen Geldern nicht finanziert werden".
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Aktionismus nach Magdeburg-Terror
Besser erst mal nachdenken
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht