Frauenfußball bei Hertha BSC: Ein Hauch von Kulturwandel
Der Fußballbundesligist der Männer will 2023 ein Frauenteam aufstellen. Endlich. Das ist ein Erfolg des neuen Chefs und der Fans.
I m August hat sich Hertha BSC einen Rüffel von der Bild-Zeitung eingefangen. Der Club habe „eine wichtige sportliche und gesellschaftliche Entwicklung verpasst“, hieß es dort. Es ging tatsächlich um – Frauenfußball. Wenn sogar das konservative Hetzblatt findet, Hertha müsse nun mal endlich Frauen kicken lassen, dann ist das wohl wirklich das, was man gesellschaftlichen Wandel nennt.
Hertha, der letzte Männer-Bundesligist ohne Frauenabteilung, hatte zu diesem Zeitpunkt den Widerstand schon aufgegeben. Am vergangenen Sonntag hat der Verein auch offiziell die weiße Fahne gehisst: Im kommenden Sommer soll erstmals ein Hertha-Frauenteam an den Start gehen. Ist das ein Grund, die Korken knallen zu lassen, oder nur peinliches Nachzüglertum?
Zunächst einmal ist es tatsächlich ein Anlass, einen Fortschritt im verkrusteten Fußball zu diagnostizieren. Seit der erfolgreichen EM der Frauen im Sommer, bei der die Deutschen Vize-Europameisterinnen wurden, ist eine zarte Bewegung entstanden: erstmalige Public Viewings, Investmentboom im Ausland, selbst Karl-Heinz Rummenigge findet Förderung kickender Frauen plötzlich ganz wichtig.
Ob dem Hype zu trauen ist, bleibt abzuwarten, und er ist nicht ohne Schattenseiten. Aber der gesellschaftliche Druck ist gestiegen. Inzwischen kommt ein Bundesligist wie Hertha in Erklärungsnot.
Druck aus den Fanblocks
Dieser Druck ist auch aktiven Fanszenen zu verdanken. Nicht nur Schalke und Dortmund knickten unlängst nach Protesten aus den Fanszenen ein und gründeten Frauenteams. „Ja zum Frauenfußball!“ plakatierten auch Hertha-Fans. Und die Gründung der Frauenabteilung geht auf einen offiziellen Antrag des Fanklubs Axel Kruse Jugend zurück.
Man muss viele Fanszenen nicht für feministisch halten. Bis heute sind sie oft archaische Macho-Domänen mit extrem geringem Frauenanteil. Aber ihre Mitglieder sind auch Mitglieder einer sich wandelnden Gesellschaft.
Dazu lässt sich, zweitens, ein bemerkenswerter Fortschritt bei Hertha beobachten. Seit Kay Bernstein als erster ehemaliger Ultra zum Präsidenten eines Erstligisten wurde, hat sich tatsächlich die Vereinskultur gewandelt: mehr Transparenz, eine glaubhaftere Positionierung etwa zu ethischen Themen wie Sportwetten und der WM in Katar, mehr Bodenständigkeit statt „Big City Club“.
Nachdem sich die beiden alten Machtblöcke – die Gruppe des verkrusteten Berliner Wirtschaftsestablishments um Ex-Präsident Werner Gegenbauer und die Gruppe um den autoritären, oft größenwahnsinnigen Investor Lars Windhorst – gegenseitig zerschossen haben, ist ein neuer Spielraum entstanden. Und viele Fans anderer Standorte schauen seit Jahren zum ersten Mal wieder mit Sympathie auf Hertha.
Ungewohnte Worte
Dass die Gründung des Frauenteams mit dieser demokratischen Aufbruchsphase zusammenfällt, ist sicher kein Zufall. „Wir wollen uns [an den Erwartungen] messen, weil es uns wichtig ist, Frauenfußball zu etablieren“, hat Bernstein gesagt. Ungewohnte Worte.
Zugleich bleibt der späte Zeitpunkt, zu dem das Frauenteam kommt, hochnotpeinlich für einen selbsternannt innovativen Klub. Seit 2009, als rund um die Frauen-WM 2011 im eigenen Land der DFB die Klubs aufforderte, mal was mit Frauen zu machen, ging Hertha Alibi-Engagements ein, die mehrfach mutwillig und gleichgültig scheiterten.
Zunächst beim FC Lübars, jenem damaligen Zweitligisten, den Hertha angeblich in die Bundesliga führen wollte. Damit war es dann doch nicht so weit her. Lübars hat sich 2015 sogar sportlich für die erste Liga qualifiziert, Hertha wollte aber die Zeche nicht zahlen. Man ließ die Lübarserinnen fallen, bald darauf musste der Club seine Frauenteams komplett abmelden.
Ähnlich alibimäßig wirkte Herthas jüngste Partnerschaft mit dem Erstligisten Turbine Potsdam, den man jährlich mit 250.000 Euro unterstützt haben soll. In einer Frauen-Bundesliga, in der die Spitzenbudgets mittlerweile auf rund 10 Millionen geschätzt werden, ist das zum Sterben zu viel und zum Leben zu wenig.
Engagement als Alibi
Stets konnte man den Eindruck gewinnen: Herthas Engagements im Frauenfußball dienten vor allem dazu, Rufe nach einem eigenen Frauenteam abzumoderieren – und um etwas vorweisen zu können, falls der DFB ein Frauenteam doch mal zur Lizenzbedingung für die Männer-Bundesliga machen sollte.
Woher genau nun das neue Frauenteam kommen soll, ist noch nicht klar. Eine Übernahme eines erfolgreichen lokalen Frauenteams wie Türkiyemspor brachte Präsident Bernstein ins Spiel, ebenso erneut den FC Lübars. Offenbar will man sich nicht wie Dortmund und Schalke selbst von ganz unten hochquälen.
Eine Übernahme von Turbine Potsdam dagegen ist kein Thema, die Kooperation wird nicht verlängert. Offiziell, weil die Klubs in zwei verschiedenen Bundesländern spielen. Allerdings ist Turbine – akut abstiegsgefährdet, intern zerstritten und personell auf allen Ebenen völlig implodiert – auch kein allzu zukunftsträchtiger Standort. Und sobald der Partnerverein in Problemen steckte, war Hertha ja schon mal schnell dabei, sich aus dem Staub zu machen.
Es wäre zu wünschen, dass der dritte Anlauf ernster gemeint ist. Kritische mediale Begleitung wird nötig sein. Bernstein erklärte vage, man werde keine Fehler anderer Klubs wiederholen und nichts heraufbeschwören, „was wir am Ende nicht bändigen können“. Das klingt eher nicht nach Frauen-Bundesliga. Und auf der Mitgliederversammlung, so berichtete es die Berliner Zeitung, gab es auch Stimmen, die fragten, ob es wirklich sein müsse, in der wirtschaftlich angespannten Lage ein Frauenteam zu gründen.
Eine Chance
Die Ressentiments sind weiterhin groß, auf der Prioritätenliste bleiben Frauen im Fußball oft ganz unten. Zum Korkenknallen ist es also zu früh. Aber das neue Team wäre eine Chance für Hertha zu zeigen, dass man auch auf diesem Gebiet einigermaßen auf der Höhe der Zeit angekommen ist.
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