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Franziska Seyboldt PsychoWer liegende Anrufe erledigt, tötet auch Tierbabys

Foto: privat

Es gibt da diesen Anruf, der seit Wochen auf meiner To-do-Liste steht. Wobei, mittlerweile liegt er, Stehen war ihm irgendwann zu anstrengend, was ja auch verständlich ist bei der Hitze. Ansonsten ist der Anruf sehr genügsam.

Ab und zu verlangt er nach einer Tasse Kaffee, danach wird seine Tinte wieder schwärzer, und vom Schreibtisch aus kann er die Bäume im Hinterhof sehen und die Spatzen, die durch die Blätter hüpfen. Seine Nachbarn „Geschenk Julia!!!“ und „Kleider wegbringen!“ sind schon länger ausgezogen, was den Anruf aber nicht stört, im Gegenteil. Neben Ausrufezeichen zu wohnen, das wünscht er wirklich keinem, vor allem nicht morgens um sieben.

Der Anruf kennt die Person am anderen Ende der Leitung noch nicht persönlich, aber mich umso besser. Ist ja auch logisch, so lange, wie er schon hier wohnt. Er schaut zu, wenn ich auf dem Bett liege und Serien gucke oder Möbel durchs Zimmer schiebe oder das Bücherregal ausmiste. Nicht urteilend, denn der Anruf hat Verständnis dafür, dass andere Sachen gerade wichtiger sind, schließlich geht es ihm nicht um eine Deadline beim Finanzamt, sondern nur um eine Möglichkeit, die sich auch als Unmöglichkeit entpuppen könnte. Da gilt es, Ruhe zu bewahren.

Daran erinnert mich der Anruf auch jedes Mal, wenn meine Haut anfängt zu jucken und ich das Telefon umkreise. Denn natürlich weiß ich erstens, dass Dingen auf der To-do-Liste ein bestimmter Auftrag innewohnt, sonst würden sie nicht da stehen, und zweitens, wie das Prozedere des Anrufens funktioniert: Telefon aus der Ladestation nehmen, Nummer eintippen, klingeln lassen, und wenn sich jemand meldet, reden. Hab ich schon oft gemacht, ich bin ja nicht von gestern. Aber der Anruf ist trickreich, und er hat Mittel und Wege, das zu verhindern.

Einmal hat er mir zum Beispiel Sekundenkleber auf den Schreibtischstuhl geschmiert, der Schlingel, so dass ich gar nicht erst in die Nähe des Telefons kam. Ein anderes Mal hat er den letzten Kaffee getrunken und ich bin erst abends wieder aufgewacht, da war es schon zu spät. Und letztens hat er mir die Hände mit einem dreifachen Seemannsknoten auf dem Rücken gefesselt. Wie soll ich denn so nach dem Telefon greifen, hm? Mit dem Mund?

Die Fünftage­vorschau

Do.,13. 6.

Jürn Kruse

Nach Geburt

Fr., 14. 6.

Michelle Demishevich

Lost in Transla­tion

Mo, 17. 6.

Kefah Ali Deeb

Nachbarn

Di., 18. 6.

Sonja Vogel

German Angst

(auf taz.de)

Mi., 19. 6.

Michael Brake

Nullen und Einsen

kolumne@taz.de

Wenn ich Freunden davon erzähle, schütteln sie den Kopf. Einfach erledigen!, raten sie, und dann bin ich natürlich empört. Wer Anrufe erledigt, tötet auch Tierbabys, und ich bringe doch nicht mal eben so meinen Mitbewohner um, gerade jetzt, wo ich kein Fleisch mehr esse. Das wäre moralisch schließlich sehr bedenklich. Und außerdem mag ich es, wie verheißungsvoll der Anruf daliegt. Wenn ich ihn anschaue, denke ich jedes Mal: Das kann ich ihm nicht antun, und mir auch nicht.

Es heißt ja immer, der Weg sei das Ziel. Vielleicht ist das manchmal einfach nur die Möglichkeit eines unmöglichen Anrufs.

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