Franz Walter über Hamburger Koalitions-Aus: "Ohne Gegner ermattet die Partei"
Die Grünen haben von der Koalition in Hamburg nicht profitiert, sagt Parteienforscher Franz Walter. Die Öffnung nach verschiedenen Lagern hat viele ihrer Anhänger irritiert.
taz: Herr Walter, Schwarz-Grün ist in Hamburg geplatzt, sind wir im alten Lagerdenken zurück?
Franz Walter: Ein Stück weit. Viele Parteieliten haben die festen Prinzipien innerhalb der Lager unterschätzt. Die Anhänger waren irritiert, weil vieles auf einmal nicht mehr galt.
Die Parteien sind also gar nicht so offen, wie sie sich geben?
Franz Walter, 54, ist seit dem Jahr 2000 Politikprofessor an der Universität Göttingen und seit März 2010 Leiter des dortigen Instituts für Demokratieforschung.
In den Programmen sind die gar nicht offen. Die Eliten wechseln die Koalitionspartner, während die Basis das Programm lebt und Wahlkämpfe macht. Die CDU hat das Problem erkannt und umgesteuert. Denn wenn es keinen Gegner gibt, ermattet die Partei.
Und die Grünen …
… haben nicht von Hamburg profitiert. Dort haben sie sich am lässigsten zu den verschiedenen Lagern geöffnet. Die Folge: Die Umfragen waren längst nicht mehr so hoch wie anderswo.
Schwarz-Grün ohne Zukunft?
Nein. Aber Hamburg zeigt: Koalitionen können nicht mehr rein machtpolitisch begründet werden. Denn dann verlieren Parteien die eigenen Leute.
Hat die FDP das noch nicht gemerkt? Sie öffnet sich machtpolitisch nach links, programmatisch aber nicht.
Die FDP ist besonders orientierungslos. Sie macht es wie immer: Sie will besonders listig sein und offen nach allen Seiten. Aber ihr Absturz hängt nicht damit zusammen, dass die Partei zu wenig sozial war, sondern damit, dass sie ihre Versprechungen nicht ansatzweise erfüllt hat.
Wandelt sich die Parteipolitik zu schnell?
Die Politik ist Spiegelbild der Gesellschaft: Veränderungen passieren schneller, Zeitabschnitte werden kürzer. Aber im Leben halten Menschen an einigen Ritualen fest. Und auch die Politik darf nicht alle Prinzipien über Bord werfen.
Was ist für die Bundestagswahl 2013 zu erwarten?
Deutschland steht jetzt da, wo andere Länder schon lange sind: Die Koalitionsbildung wird schwieriger und länger dauern - Koalitionen werden labiler. Was die politischen Verhältnisse angeht: Holland droht auch in Deutschland.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Krieg in der Ukraine
USA will Ukraine Anti-Personen-Minen liefern