Fotovoltaik-Branche: Energiewende im Rekordtempo
Noch nie sind in Deutschland so viele Fotovoltaikanlagen ans Netz gegangen wie 2011. Die Preise für die Anlagen sinken, die staatlichen Zuschüsse ebenso.
BERLIN taz | 2011 ist für die Stromerzeugung aus regenerativen Quellen in Deutschland ein Rekordjahr: Erstmals deckten sie 20 Prozent des heimischen Verbrauchs.
Nun kommt ein weiterer Spitzenwert hinzu: Rund 250.000 Fotovoltaikanlagen sind im vergangenen Jahr ans Netz gegangen - mit einer Leistung von 7,5 Gigawatt. Mit ihrer Hilfe lässt sich ein komplettes Atomkraftwerk ersetzen: Die Anlagen erzeugen im Durchschnitt eines Jahres mehr Strom als der kürzlich stillgelegte Atomreaktor Philippsburg 1.
Mit dem neuen Rekord hatte allerdings bis vor Kurzem niemand gerechnet. Fast die Hälfte der Anlagen sind nach Angaben der Bundesnetzagentur allein im Dezember ans Netz gegangen. Die Geschichte wiederholt sich in jedem Jahr: Nach dem Erneuerbaren-Energien-Gesetz gibt es eine garantierte Vergütung für den Strom aus regenerativen Quellen, und zwar zu den Sätzen, die gelten, wenn die Anlagen zum ersten Mal Strom ins Netz liefern.
Die 2011 neu installierten Solaranlagen liefern in einem Jahr mehr Strom als etwa der im Zug der Energiewende stillgelegte Atomreaktor Philippsburg 1 in Baden-Württemberg. Das ergibt folgende Rechnung: Im Durchschnitt produziert eine Solaranlage in Deutschland pro Jahr so viel Strom, als würde sie 910 Stunden oder rund 38 Tage unter optimalen Bedingungen arbeiten, also voll beschienen werden. Das gibt der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft als Richtwert vor. Aus 7,5 Gigawatt neu installierter Solarleistung in 2011 ergibt sich damit eine Strommenge von 6825 Gigawattstunden pro Jahr. Bei Philippsburg 1 ist es weniger: Der Reaktor hatte eine Nettoleistung von 0,89 Gigawatt und stand im Schnitt 79,7 Prozent der Laufzeit zur Verfügung, sonst wegen Wartungen und Pannen still. Damit ergibt sich eine jährliche Strommenge von 6214 Gigawattstunden. Philippsburg 2, noch in Betrieb, mit 1,4 Gigawatt Leistung und 86,8 Prozent Verfügbarkeit, bringt es nach der Rechnung auf 10645 Gigawattstunden Strom. (ia)
Die Erlöse für die Fotovoltaik sinken besonders schnell, üblicherweise zum 1. Januar oder zum 1. Juli. Wer seine Anlage also noch am 31. 12. angeschlossen hat, bekommt mehr Geld. Zudem sind die Preise für die Solarmodule in letzter Zeit wegen weltweiter Überproduktion eingebrochen: laut dem Branchenmagazin Photon im vergangenen halben Jahr um 31 Prozent.
Rösler will die Förderungen kürzen
Dementsprechend flammt nun die Diskussion über eine schnellere Kürzung der Förderung wieder auf. Der Graben verläuft üblicherweise zwischen dem Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) und Umweltministerium Norbert Röttgen (CDU). Für Rösler und Teile der Regierungsfraktion ist die Solarenergie Kostentreiber. Sie stören sich daran, dass Solarstrom zirka 50 Prozent der knapp 14 Milliarden Euro zur Förderung erneuerbarer Energien verschlingt.
Dafür liefert die Fotovoltaik nur 15 Prozent des erneuerbaren Stroms. Rösler fordert Röttgen auf, Vorschläge vorzulegen, wie die Förderung gekürzt werden kann. Tatsächlich sinkt sie stark ab: 15 Prozent zum Jahreswechsel, vermutlich weitere 15 Prozent Mitte des Jahres. Je stärker der Ausbau, desto stärker ist bereits heute die Kürzung.
Auch ohne Förderung wird Solarstrom günstiger
Damit würde der Solarstrom ab Juli noch mit 15,25 Cent bis 20,77 Cent pro Kilowattstunde vergütet. Noch in diesem Jahr wird Sonnenstrom vom Dach in Deutschland billiger als aus der Steckdose - auch ohne Förderung. Der Branchenverband BEE rechnet vor, dass momentan 1 Gigawatt neu installierter Solarstrom den Stromkunden 0,03 Cent pro Kilowattstunde kosten würde.
Röttgen kündigte an, in der nächsten Woche zu einem Branchengespräch mit der Fotovoltaikindustrie über eine "weitere Verstetigung der Degression" bei der Vergütung zu sprechen. Ob das eine schnellere Absenkung bedeutet, ließ er offen. Selbst der Chef des größten deutschen Solarkonzerns Solarworld, Frank Asbeck, fordert eine schnellere Kappung: "Wir müssen da gegensteuern, sonst verliert unsere Branche an Glaubwürdigkeit", sagte er.
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