Fotos fürs Leben, Blei für den Spirit

■ Bill Kane, Foto-Künstler, ab heute in Vegesack / Performance mit Annemarie Wiesner, Musikerin

Jetzt, wo sie weg ist, die Mauer, da sieht man sie doch immer wieder gern. Die Bilder von damals, als sie noch, auf einer Seite wüst besprüht und von wilden Händen mit Schrift und Bild versehen, die überdimensionierte Gefängnis- Mauer, kein Draußen kannte.

Bill Kane

Auf Bill Kane, den amerikanischen Künstler mit Wohnsitz in Brooklyn, übte sie schon länger einen eigenartigen Sog aus. Zuhause in New York und San Francisco hatte er sich intensiver mit Graffitti als künstlerischer Ausdrucksform beschäftigt, als ihm ein Freund einflüsterte, sich doch

Annemarie Wiesner, Violinistin

einmal mit der Berliner Mauer zu befassen. Kane kam, sah und war überzeugt. Diese Mauer war ein Extrem, eine Mauer, die nicht nur einzelne Personen einschloß, sondern eine ganze Gesellschaft, eine Sprühfläche, auf der sich eine Vielzahl verschiedener Kulturen eingeschrieben hat, war die Mauer überhaupt, Symbol für alle Barrieren, die Menschen mit sich herumtragen. Er fotografierte Ausschnitte, Details, fotografierte Zeichen und Schriften, die andere auf die Mauer gemalt hatten, fotografierte die unsortierten, rauhen Striche und sog die Energie in sich auf, die auf der Mauer sichtbar wurde.

Zuhause in seinem Atelier zog er die Fotos großformatig auf einen Holz-Untergrund und überlagerte sie mit Zeichen aus einer anderen Welt. Aufmontierte Neon- Schriften, Glühlampen, rohe Holzbretter, Textilfelder, Metallplatten öffnen für Bill Kane andere Dimensionen der Realität, weisen in Richtung auf Zen-Malerei und Meditation, während die Wand-Details mit ihrer trübgrauen Grundfarbe und dem chaotischen Liniengewirr die physikalische Realität, das Leben, den Krach, die Energie repräsentiert.

Zehn seiner Mauer-Bilder zeigt Bill Kane derzeit in Vegesack (Kito, Eröffnung: heute, 20 Uhr) im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Denn Bleiben ist nirgends“ über jüdische Künstlerinnen der Emigration. Zur Eröffnung spielt zu einer Dia-Projektion Kanes die Zürich/New Yorker Violinistin Annemarie Wiesner eine „Klangvision“, die sie zu diesem Anlaß geschrieben hat. Zwar sind weder Annemarie Wiesner noch Bill Kane weder jüdische Künstlerinnen noch emigriert, jedoch läßt sich, wenn man will, ein Bezug konstruieren, auf einigen seiner Fotos hat Kane einen gesprühten Davidstern mit abgebildet. Für die beiden KünstlerInnen spielen die religiösen Dogmen und Symbole selbst keine Rolle, Bill Kane betont im Gespräch vielmehr, daß auf dem gleichen Foto auch die anderen Weltreligionen vertreten sind. Und für ihn seien sie alle gleich. Alle Religionen haben, sagt Kane, einen wertvollen Grundgedanken, an dem sich arbeiten und leben lasse. Aber an den Dogmen und Ritualen, die die religiöse Praxis und Identifikation ausmachen, daran sei er nicht interessiert. Ihn interessiere nur der Spirit.

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