Fotofestival über den Zustand der Welt: Hunter mit Teleobjektiven

Wie passen Dandys zur Armut im Kongo und ein Krieg zum Frühstück? Das Fotofestival Mannheim-Ludwigshafen-Heidelberg erzählt Geschichten rund um den Globus.

Aus der Serie "Way to Rome", 2007. Bild: Said Atabekov

Viel vorgenommen hat sich das 4. Fotofestival Mannheim-Ludwigshafen-Heidelberg. Es will die sozialdokumentarische Tradition wieder stärker gewichten, um die globale Conditio humana in all ihrer Komplexität zu erkunden. Mit 700 Fotos, auch etlichen Videos und Filmen gelingt das sogar wunderbar, mit zugleich erschreckendem und beglückendem Resultat.

Die ökologischen Zustände der Welt sind katastrophal, wozu wohl der Hauptsponsor des Festivals, BASF, sein Scherflein beiträgt. Die politischen Zustände sind ebenso beklagenswert. Wie die Menschen mit diesen Verhältnissen fertig werden, ist jedoch oft bewundernswert, weil der Schlaf der Vernunft nicht nur Ungeheuer gebiert, sondern auch solidarischen und liebevollen Umgang miteinander.

Der italienische Fotograf Francesco Giusti ist mit der Serie "Sapologie" vertreten, entstanden 2009 in der Republik Kongo. Sein Foto "Bonga Bonga" wählten die Kuratorinnen Katerina Gregos und Solvej Helweg Ovesen als Festival-Aufmacher, weil es dokumentarische und künstlerische Elemente beispielhaft verbindet und inhaltlich zu Deutungen herausfordert.

Giusti dokumentiert zwar eine kongolesische Straße, die wesentlichen Aussagen des Fotos entstehen jedoch durch sorgfältig inszenierte Verfremdung. Etwas Unerwartetes, das Mitglied eines Dandy-Clubs, provoziert unser Auge und setzt Assoziationsketten frei. Will der schwarze Herr mit Smoking, Brille, Fliege und Meerschaumpfeife auf einer sandüberspülten Straße in Pointe Noire seine Liebe zur westlichen Kultur demonstrieren?

Diese Fähigkeit, über die abgebildete Wirklichkeit hinaus ihre verborgenen Ursachen anzudeuten, also mehr zu sagen, als zu sehen ist, zeichnet alle 56 Fotokünstlerinnen und -künstler aus 32 Ländern rund um den Globus aus. Ihre Fallstudien ergeben ein Patchwork des Verhaltens, mit denen Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und sozialen Schichten auf ihr jeweiliges, meist widriges Umfeld reagieren. Das interdisziplinäre Konzept der Kuratorinnen geht damit über die legendäre Bestandsaufnahme "The Family of Man" von 1955 hinaus, mit der Edward Steichen angesichts von Weltkrieg und Kaltem Krieg die Gemeinsamkeiten aller Menschen, ihre gleiche emotionale und physische Grundausstattung betonte.

Teils verraten schon die Titel der fünf großen Gruppenausstellungen, die das Fotofestival bilden, deren inhaltliche Orientierung. "Ökologische Kreisläufe" im Wilhelm-Hack-Museum in Ludwigshafen sowie "Affekt und Wirkung von Politik" im ZEPHYR des Reiss-Engelhorn-Museums Mannheim übersetzen das, was lange bekannt ist, in eine einprägsame Bildsprache. Da berichten die Großformate des kanadischen Kosmopoliten Edward Burtynsky und des chinesischen Heimatforschers Yang Yongliang über Naturzerstörung durch Ölförderung, Motorisierung und Bauwut.

Vivaldi auf der Müllkippe

Da zeigen die Kirgisen Gulnara Kasmalieva und Muratbek Djumaliev ein Video, dessen schlichte Idee tief berührt. Ein Kammerorchester spielt Vivaldis "Vier Jahreszeiten" auf einer rauchenden Müllkippe. Die Grazie der Musikerinnen und Musiker, die Schönheit der Geigen und Celli, die Musik stehen in schmerzhaftem Kontrast zu der Wüstenei und wecken die Ahnung einer geglückten Einheit von Mensch und Natur. Die Iranerin Gohar Dashti inszeniert ein Paar, das sich an einem Frühstückstisch in zerfurchter Landschaft gegenübersitzt und Normalität spielt, obwohl ein Panzer sein Rohr auf es richtet.

Diese Aspekte des täglichen Lebens werden in drei weiteren Gruppenausstellungen "Rolle und Ritual" in der Kunsthalle Mannheim, "Lebenskreisläufe" im Heidelberger Kunstverein und "Das alltägliche Leben" im Kunstverein Ludwigshafen breiter aufgefächert. Schon die klassische Dokumentarfotografie der New-Deal-Zeit mit Walker Evans oder Dorothee Lange richtete den Blick auf die Armen und Ausgegrenzten. Auf der literarischen Ebene fand Carson McCullers in ihrem zeitgleich, 1940 erschienenen Roman "The Heart is a lonely Hunter" starke sprachliche Bilder für die Sehnsüchte der armen Bewohner einer Südstaatenstadt.

Weil auch die zeitgenössischen Fotografen an den gesellschaftlichen Rändern forschen, machten die Kuratorinnen den einprägsamen Romantitel in abgewandelter Form zum Festivaltitel: "The Eye is a lonely Hunter – Images of Humankind".

"Memory Lane" aus der Serie "Babel Tales", 2008. Bild: Peter Funch

Lonely bedeutet nicht, dass der Fotograf immer allein inszeniert. Der Ukrainer Boris Mikhailow etwa lässt seine Protagonisten Erlebnisse ihres Lebens nachspielen, wobei sie ihre Kleidung selbst wählen können. Auch der in Südafrika lebende Amerikaner Roger Ballen, mit einer Einzelausstellung in der Heidelberger Sammlung Prinzhorn vertreten, entwickelt seine theatralischen Arrangements gemeinsam mit armen Weißen in abgelegenen Dörfern, sodass authentische Bilder der Isolation und Armut dieser Minderheit entstehen.

Viele Fotografinnen und Fotografen leben lange Zeit unter ihren Darstellern, um mit ihnen und ihrem Milieu vertraut zu werden. So der 1973 geborene Tobias Zielony, der Monate mit Jugendlichen aus Immigrantenfamilien in der Pariser Banlieue verbrachte, bevor er ihre harmlosen nächtlichen Treffen in Hauseingängen fotografierte, fast immer auf respektvoller Augenhöhe. Zielonys Einzelausstellung ist in der Kunsthalle Heidelberg zu sehen.

Konträr hierzu ist die Situation, wenn der Street Photographer die Passanten gar nicht kennt. Das gilt dann auch vice versa, was die Ablichtung von Gesichtern ohne Posen möglich macht. Der Schweizer Beat Streuli ist ein solcher Hunter mit dem Teleobjektiv. Seine Auftragsarbeit, Mannheimer Passanten zu fotografieren, ist als 70 Meter lange Wand auf dem Alten Meßplatz ausgestellt. Streuli wählte harmonische Sequenzen mit jungem Publikum in schöner multikultureller Harmonie aus, ist nah dran an Werbefotografie.

Andere Fotos mit positiver Ausstrahlung wecken das beglückende Gefühl, dieser so vielfältigen family of man anzugehören. Der Däne Jakob Holdt fotografierte einen jungen afroamerikanischen Vater, der seinem Baby zärtlich in die Augen blickt. Laut Bildtitel geschieht das im 12. Stock eines Chicagoer Slumhochhauses.

"The Eye is a lonely Hunter - Images of Humankind", bis 6. November 2011 in Mannheim, Heidelberg und Ludwigshafen. Katalog 20 Euro, mehr unter www.fotofestival.info

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