■ STADTMITTE: Fortsetzung oder Neuanfang
Fortsetzung oder Neuanfang
Es gibt Konfliktmuster, die sich im deutsch-deutschen Beziehungstheater ständig wiederholen. Akteure und Gegenstände variieren, wenn es um die Abwicklung der Hochschulen, die Besetzung von Politikerposten oder die Zusammensetzung von Akademien geht, aber das Grundraster bleibt. Auf der einen Seite stehen die teils unangenehmen, teils weltmännisch-sympathischen Intellektuellen, Künstler und sonstigen Zeitgenossen aus Ost und West, für welche die DDR entweder Identifikationsgegenstand, positiver Beziehungspunkt oder das kleinere Übel gegenüber dem westlichen System war. All diesen Personen ist die jetzige harte Form der Vergangenheitsaufarbeitung zutiefst zuwider, und sie sehen überall nur das Moment der Zerstörung, Kolonialisierung und den westlichen Interessenschacher.
Auf der anderen Seite gibt es die ebenfalls sehr heterogene Gruppe der Oppositionellen und Kritiker der DDR, die oft gerade aus ihren früheren Bindungen zum Realsozialismus heraus den Weg der Verarbeitung und des Abstands dazu viel weiter gegangen sind. Für sie war irgendwann der moralische und politische Bruch mit der Praxis und dem Geist eines menschenverachtenden Systems zwingend. In die Emigration getrieben und auch dort isoliert oder zur wirklichen Opposition in der DDR geworden, begrüßen sie heute die rückhaltlose Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und fordern, daß aus Verantwortung und Schuld Konsequenzen gezogen werden müssen.
Der Streit um die Zukunft der Akademie der Künste hat genau diesen Hintergrund. Es sind dabei nicht die offenen Bösewichte und Kollaborateure, wie Hermann Kant und seine westlichen Gesinnungsgenossen, die den Streit so schwierig machen, sondern die vielen Beteiligten, welche sich zwischen den Lagern hin- und hergerissen fühlen.
Von Inseln der Gleichberechtigung und Momenten der Würde im ansonsten ungerechten und würdelosen Vereinigungsprozeß wird gesprochen. Wer denkt aber an das Recht und die Würde derer, die seit Jahren vom deutsch-deutschen Diskurs der Intellektuellen ausgeschlossen oder an den Rand gedrängt wurden? Trifft das Verständnis und die Bitte um Solidarität nicht wieder die Falschen?
Den früheren Oppositionellen, Schriftstellern und Bürgerrechtlern werden Unduldsamkeit und Inquisitionsgelüste vorgeworfen, nur weil sie nicht bereit sind, den Mantel des Schweigens und der Verdrängung auf die Komplizenschaft der staatstragenden Elite-Ost mit vielen Intellektuellen-West zu decken.
So mühsam und unsicher ein Prozeß der Neugründung auch sein mag, für die verfahrene Situation der Akademie der Künste gibt es keinen anderen anständigen Ausweg. Die Politiker können und sollten das Problem nicht stellvertretend lösen, sondern auf einen Punkt drängen, der den Entschluß zur Neugründung realistisch und praktikabel macht. Für die Zwischenzeit der Gründungsphase muß der Erhalt der Akademieeinrichtungen gewährleistet sein, und ein unabhängiger, international besetzter Gründungsausschuß muß den Schnitt mit der Vergangenheit und einen wirklichen Neuanfang sichern helfen. Der Wille der jetzigen Akademiemitglieder dazu wäre ein Signal — für viele andere Konflikte.
Wolfgang Templin (Bürgerrechtler/ Bündnis 90). In der Stadtmitte schreiben Persönlichkeiten zu Problemen der zusammenwachsenden Stadt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen