Fortschritte der Biomedizin: Heiler des Rückenmarks
Erstmals behandeln US-Ärzte einen Gelähmten mit embryonalen Stammzellen. Er soll das Gefühl wiedererlangen. Aber nicht nur Bekämpfer der Stammzellenforschung üben Kritik.
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Zum ersten Mal weltweit ist in den USA ein Patient mit einer Injektion embryonaler Stammzellen behandelt worden. Wie am Montagabend offiziell bekannt gegeben wurde, war die Injektion bereits am Freitag im Shepherd Hospital in Atlanta, einer Spezialklinik für Hirn- und Rückenmarksverletzungen, einem gelähmten Patienten gegeben worden.
Die Forscher des Unternehmens Geron verbinden damit die Hoffnung, dass die verletzten Teile des Rückenmarks durch die Stammzellen zu neuem Wachstum angeregt werden und der Patient Gefühl und womöglich das Gehvermögen wieder erlangen kann.
Diese ersten Tests embryonaler Stammzelltherapie an menschlichen Patienten wurden möglich, nachdem ein US-Berufungsgericht Ende September entschieden hatte, dass ein von einer ersten Instanz verhängtes Verbot der Bundesförderung von Stammzellforschung hinfällig ist.
Die Firma Geron, die schon im Januar einen Antrag eingereicht hatte, um von der Labor- zur Kliniktestphase vorrücken zu können, beruft sich auf große Erfolge bei Tierversuchen. So hätten die embryonalen Stammzellinjektionen bei Ratten mit Rückenmarksverletzungen zur Wiedererlangung des Gefühls und teilweisen Aufhebung der Lähmungserscheinungen geführt.
In dieser Testphase geht es allerdings erst in zweiter Hinsicht um den eigentlichen therapeutischen Erfolg. Vor allem soll zunächst herausgefunden werden, ob die Therapie überhaupt sicher ist, ob es Abstoßungs- oder Gegenreaktionen gibt.
Darüber hinaus befürchten manche Experten, dass die Injektion der Stammzellen auch zur Herausbildung bösartiger Geschwüre führen könne, da nicht eindeutig zu steuern sei, ob die Stammzellen sich tatsächlich zu einem Ersatz des erkrankten oder fehlenden Gewebes weiterentwickeln. Auch über dieses Krebsrisiko erhoffen sich die Forscher neue Erkenntnisse.
In den kommenden Wochen sollen weitere Patienten in verschiedenen Kliniken an der Geron-Studie teilnehmen. Voraussetzung ist, dass die Rückenmarksverletzung erst wenige Tage zurückliegt und sich noch kein hartes Narbengewebe gebildet hat.
Die Embryonen, aus denen die Stammzellen gewonnen wurden, stammen nach Angaben des Unternehmens von Eltern, die nach In-vitro-Fertilisationen übrig gebliebene, nicht in die Gebärmutter eingesetzte Embryonen gespendet hatten. Diese Embryonen wären ohnehin vernichtet worden.
Diejenigen, die aus ethischen Gründen Stammzellforschung ablehnen, weil für sie schützenswertes Leben bereits mit der Befruchtung beginnt, werden sich von diesem Argument nicht beruhigen lassen. Tatsächlich geht der Rechtsstreit zwischen der Regierung Obama, die bereits 2009 die Verbote der Bush-Regierung zur Bundesförderung von Stammzellforschung aufgehoben hatte, und Forschungsgegnern weiter.
Aber auch Befürworter sehen die Studie von Geron kritisch. Manche halten den Test am Menschen für verfrüht. Sie zitieren den Fall des damals 18-jährigen Patienten Jesse Gelsinger, der 1999 an einer Gentherapiestudie teilgenommen hatte und an den Folgen gestorben war.
Der Skandal hatte alle weiteren Gentherapie-Forschungen zum Erliegen gebracht, erst viele Jahre später konnten einzelne Fäden der Forschung wiederaufgenommen werden. Ein ähnliches Desaster für den gesamten Forschungszweig fürchten manche Kritiker auch jetzt.
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