DEBATTE: Fortpflanzung gemäß Paragraph 218
■ Plädoyer gegen die vorgeschlagene Fristenregelung mit Beratungspficht
Ein Gruppenantrag ist vorgelegt worden zur Neuregelung des Paragraphen218. Er sieht eine Fristenregelung bis zur zwölften Woche und danach eine Indikationsregelung bis zur 22.Woche vor. Abgeordnete verschiedener Parteien unterstützten den Antrag. Es ist der Versuch unternommen worden, der jetzigen repressiven Regelung des Paragraphen218 eine zeitgemäßere Variante gegenüberzustellen. Eine Fristenregelung ist besser als eine Indikationsregelung, insofern ist die Anstrengung und Initiative in Bonn anzuerkennen.
Sicher sind auch diejenigen falsch beraten, die glauben, mit Bekenntnissen zur Streichung des Paragraphen218 heute politisch wirksam eingreifen zu können. Diese Forderung ist richtig, denn die Einstellung zur Abtreibung ist eine Frage des Gewissens, der individuellen Lebensumstände und des Werte- und Moralsystems, das sich bekanntlich, wie der soziale Kontext, entwickelt. Eine Strafvorschrift zur Regelung der Abtreibung versucht das Gewissen unter Kuratel zu stellen, und das funktioniert bekanntermaßen nicht. Es geht aber nicht um Bekenntnisse. Und es kann sich auch nicht um kleinliche Krittelei an diesem Gemeinschaftsantrag handeln.
Auf jeden Fall aber muß geklärt werden, ob die im Antrag vorgeschlagenen neuen Regelungen den Druck auf Frauen verschärfen. Mich interessiert zudem immer, welcher Geist hinter einem Gesetz steckt. Also ganz konkret die Fragestellung: Welche Haltung drückt sich gegenüber den Frauen aus? Welches Demokratie- und welches Staatsverständnis greifen Platz oder schimmern durch?
Eine strafrechtliche Regelung zum Schwangerschaftsabbruch ist immer der Ausdruck von Verwaltung des weiblichen Körpers. Diese Androhung von Strafe gehört zu den Machttechniken, mit denen die rechnerische Planung des Lebens gesichert werden soll. Menschen zum Beispiel als zukünftige Zahler für die Rentenversicherung, für die Produktion und die Armee. Heute steht dahinter vor allem die heillose Angst, daß die Deutschen aussterben könnten. Das muß an dieser Stelle so scharf formuliert werden, denn die Bewirtschaftung des weiblichen Körpers und damit der versuchte Eingriff in weibliche Lebensläufe ist und bleibt Ausdruck männlicher Sicht und Herrschaft. Die heutige Diskussion um den Paragraphen218 zeigt, daß der Kampf um Autonomie gegen Bevormundung an der Ignoranz und dem Herrschaftsanspruch einer patriarchalen Gesellschaft scheitert.
Bezogen auf eine Neuregelung zum Schwangerschaftsabbruch ist somit die Anmaßung durch das Strafrecht zu beklagen. Angesichts der realen Machtverhältnisse in Bonn ist aber eine andere Vorstellung derzeit nicht durchzusetzen.
Die Beratungspflicht, wie wir sie heute haben, verweist auf einen allgemeinen Zweifel an der Kulturfähigkeit der Frau. Mit Zwang vorgeführt, soll sie noch den fehlenden Schuß an Ethik und Moral verpaßt kriegen, der sie erst in die Lage versetzt, verantwortlich entscheiden zu können. Der vorliegende Gesetzentwurf zielt auf eine enorme Auweitung der Kontrolle und des Eingriffs in die Beratung, das heißt, vorgesehen ist eine Fristenregelung, also freie Entscheidung in den ersten zwölf Wochen unter Kontrolle. Aber eine Fristenregelung mit Beratungspflicht ist ein Widerspruch in sich.
Der gesamte Kanon von Beratung wird festgelegt. Die Beratungsstelle soll nur dann anerkannt werden, wenn sie in der Lage ist, sieben Punkte der Beratung sicherzustellen. Dazu muß sie kurzfristig einen Arzt, Psychologen oder Juristen hinzuziehen können, sie muß mit Stellen zusammenarbeiten, die öffentliche und private Hilfe für Mutter und Kind gewähren, und sie muß über qualifiziertes Personal verfügen, als wäre das nicht jetzt schon der Fall. Es besteht die Befürchtung, daß kleine Beratungsstellen in ländlichen Gemeinden diesen Ansprüchen nicht gerecht werden können und rausfallen. Zu den sieben vorgeschriebenen Punkten der Beratung gehören zum Beispiel psychische Folgen des Abbruchs, rechtliche und psychosoziale Konflikte der Adoption, der Hinweis auf Hilfen bei der Suche nach Wohnung, Arbeits- oder Ausbildungsplatz. Frauen müssen sich anhören, welche Hilfen sie alle ausschlagen, die eine Fortsetzung der Schwangerschaft möglich machen könnten. Die Frauen, die abtreiben wollen — und die meisten Frauen, die in die Beratung kommen, haben sich dazu entschieden —, geraten unter einen ungeheuren Rechtfertigungsdruck. Das Gesetz ist dem Geist nach kein Gesetz, das den Abbruch regelt, sondern ein Gesetz zur Förderung der Fortpflanzung sein soll.
Aufs höchste suspekt ist auch die Verknüpfung von sozialen Hilfen für Familien und Schwangerschaftsabbruch in einem Gesetz. Ausdrücklich brauchen wir eine bessere, das heißt auf die kulturellen Veränderungen bezogene Familienpolitik. Nur, soziale Hilfen benötigen wir für die lebenden Menschen und nicht für die ungeborenen. Alle Erfahrungen mit den Gründen des Schwangerschaftsabbruchs sagen darüber hinaus, daß diese eher im Partnerschaftskonflikt und in der Überforderung der Frauen liegen und weniger bei mangelnden sozialen Hilfen. Es ist doch abstrus, sich vorzustellen, daß die Entscheidung einer Frau im Schwangerschaftskonflikt beeinflußt wird durch die Höhe des Steuerfreibetrages für die Kinder. Außerdem ist es eine rücksichtslose Verengung von Politik, wenn die Kinder- oder Familenfreundlichkeit einer Gesellschaft ausschließlich an monetären Gesichtspunkten gemessen wird. In einem Brief, den der damalige Bundesjustizminister H.J. Vogel am 4.September 1979 an Kardinal Höffner schrieb, betonte er ausdrücklich: „In Wahrheit fallen aber unter die soziale Indikation eine Vielzahl schwerwiegender Konflikte, die mit Geld nicht zu lösen sind.“ Diese Haltung scheint heute bei der SPD nicht mehr vorherrschend, sonst würde sie nicht so rigoros an dieser merkwürdigen Verknüpfung von etwa Arbeitsförderungsgesetz (AFG), Wohnungsbindungsgesetz und Sozialhilfegesetz und Schwangerschaftskonflikt festhalten. Ich finde es fatal, diese Verbindung so krude aufrechtzuerhalten, weil jede Besserung bei den sozialen Hilfen sofort die Rechner auf den Plan ruft. AFG-Änderung: 10.000 Abbrüche weniger, Wohnungsbindungsgesetz: 20.000 weniger?
Viele Ungereimtheiten enthält das vorgeschlagene Gesetz noch. Was ist zu tun? Sie liegen vor, dazu muß nein oder ja gesagt werden. Die Angst ist groß. Wenn nicht dieses Gesetz, dann kommt ein noch schlimmeres. Es droht das Bundesverfassungsgericht, dessen Zusammensetzung nicht an allgemeinen Einstellungen, sondern an Parteizugehörigkeiten gemessen werden muß.
Ich plädiere dafür, sich jetzt eindeutig für eine Fristenregelung auszusprechen. Bei der „Beratung“ muß noch einmal ausdrücklich für ein Recht und nicht für die Pflicht gekämpft werden. Zurückgewiesen werden muß auch die Einmischung des Bundes in Länderkompetenzen. Ich bin es leid, daß die Verantwortlichkeit von Frauen angezweifelt wird, daß sie als eine Gruppe hingestellt werden, die den ethischen und moralischen Ansprüchen nicht gerecht wird. Eine scharf kontrollierte Fristenregelung mit dieser Art von Beratung ist ein Widerspruch in sich und deshalb keine.
Ich will das so nicht. Waltraud Schoppe
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