: Fortgesetzte Sabotage
Der NSU-Untersuchungsausschuss wird seit einem Jahr behördlich behindert
Unser Kollege Thomas Moser begleitet den NSU-Untersuchungsausschuss seit Beginn und dürfte zu den ganz wenigen Journalisten gehören, die darüber so regelmäßig wie akribisch berichten. Und dafür hat er in Kontext den Platz, den er braucht. Schließlich geht es um zehn Morde und die mögliche Verstrickung staatlicher Stellen, und es geht um Aufklärung und ihre Behinderung durch die Behörden. Moser, der auch für den WDR arbeitet, hat immer wieder erlebt, wie Zeugen in nicht öffentlichen Sitzungen vernommen und Fotografierverbote ausgesprochen werden – und wie die Presse kontrolliert wird.
Er hat es selbst am 6. März erfahren, als er ein Interview mit dem Leiter des für den NSU-Ausschuss zuständigen Sekretariats, Harald Georgii, geführt hat. Weil ihm die Fragen nicht gefallen haben, verlangte Georgii die Löschung einzelner Passagen beziehungsweise die Vorlage der O-Töne, was Moser ablehnte. Danach zog ihm der Sekretariatsleiter das Mikrofon aus dem Aufnahmegerät. Am 11. März bekam der Kontext-Autor Post vom Deutschen Bundestag, in der ihm die Pressestelle mitteilt, dass sie diese Angelegenheit „nach dem unerfreulichen Verlauf“ des Gesprächs „nicht auf sich beruhen lassen kann“. Dasselbe gilt für Kontext. Wir werden den Eingriff in die Pressefreiheit mit den Journalistenverbänden klären.
von Thomas Moser
Donnerstag, 28. Februar 2013, Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages.
Eva Högl, Obfrau der SPD: Auch heute morgen sind wir überrascht worden von einer unschönen Angelegenheit. Es gibt nämlich eine zweite Garagen-Liste, auf der Namen und Adressen stehen. Dem BKA ist das seit einem Jahr bekannt.
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Es ist die 56. Sitzung. Seit einem Jahr versucht dieser Untersuchungsausschuss die Hintergründe der NSU-Mordserie aufzuklären. Und seit einem Jahr wird er fortgesetzt dabei behindert. Das jüngste Beispiel liefert der Umgang der Ermittlungsbehörden mit Adress- und Telefonlisten, die bei der Durchsuchung von Garagen des Trios Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe im Januar 1998 in Jena sichergestellt wurden. Der Ausschuss weiß überhaupt erst seit einigen Wochen, dass es eine solche Adressliste gibt, die offenkundig Uwe Mundlos gehörte. Jetzt erfährt das Gremium nicht nur, dass eine zweite, aktualisierte Liste bei der Garagendurchsuchung gefunden wurde, sondern auch, dass Bundeskriminalamt (BKA) und Bundesanwaltschaft (BAW) das seit über einem Jahr wissen. Interessant ist, auf welche Weise das herauskam.
Der BKA-Beamte Michael Brümmendorf, der bei den Ermittlungen 1998 mithalf, hatte die Namensliste mit dem Vermerk versehen „ohne Bedeutung“. Jetzt, im Februar 2013, lud der Ausschuss Brümmendorf als Zeugen vor, um zu erfahren, wie er zu einer solchen, falschen, Beurteilung gekommen war. Vorsorglich schrieb das BKA einen Brief an den Ausschuss, in dem es erklärte, der Vermerk „ohne Bedeutung“ beziehe sich nur auf die Rückseite der Liste. Eine Rückseite hat die Liste, die dem Ausschuss bis dahin vorlag, aber nicht. Er wurde stutzig und forderte vom BKA weitere Erklärungen an. Dermaßen ertappt, mussten BKA und Bundesinnenministerium nun offenbaren, dass es eine zweite Adressliste von Mundlos gibt, mit Rückseite, in der weitere Namen stehen.
Nach Überzeugung des Ausschusses hätte die Mundlos-Liste zum Zufluchtsort des Trios führen müssen. Sie enthält 35 Namen von Neonazis in ganz Deutschland. Ob sie vollständig kriminalpolizeilich ausgewertet worden ist, bleibt unklar. Ebenso, warum nach den drei flüchtigen Jenaern nicht zielgerichtet gefahndet wurde.
Auch die Kriminalbeamten Jürgen Dressler, LKA Thüringen und Brümmendorf, BKA, leisten keinen Beitrag zur Aufklärung. Sie sind zu einer Gegenüberstellung bestellt worden, weil sie damals bei den Ermittlungen zwar zusammengearbeitet haben, sich aber ihre Versionen vor dem Ausschuss über den Umgang mit der Liste gründlich widersprachen. Die quasi-gemeinsame Formel der Zwei lässt sich so zusammenfassen: Jeder habe sich auf den anderen verlassen, dass der ermittle.
Brümmendorf selber hatte bei den Ermittlungen 1998 einen handschriftlichen Vermerk zur Person Thomas Starke verfasst, der ebenfalls auf der Liste steht. Dieser Vermerk lautet: „Unterschlupf !?“. Tatsächlich waren die Drei als erstes zu Starke nach Chemnitz geflohen. Ausschussmitglied Clemens Binninger sagt dazu: „Viel näher hätte man den Dreien damals nicht kommen können.“ Bemerkenswert noch: Unterschlupfgeber Starke war Informant der berliner Polizei. Offiziell von 2000 bis 2011.
Clemens Binninger, CDU: Sie haben zu der Liste geschrieben: 'Diese Namen sind nach den bisherigen Ermittlungen ohne Bedeutung'. Warum?
Michael Brümmendorf, BKA: Ich konnte mit den Namen keine Schwerpunkte finden.
Hartfrid Wolff, FDP: Auf der Liste stehen viele Städtenamen. Haben Sie mit Kollegen dort Kontakt aufgenommen?
Brümmendorf: Nein. Ich habe auf die Absprache vertraut, dass Herr Dressler sich diese Liste anschaut.
Wolff: Herr Dressler, haben Sie in den aufgeführten Städten mit Kollegen Kontakt aufgenommen?
Jürgen Dressler, LKA Thüringen: Nein.
Binninger: Herr Brümmendorf, aus dem Schriftverkehr von Mundlos, der auch in der Garage lag, ergeben sich Ermittlungsansätze zum Beispiel nach Ludwigsburg.
Brümmendorf: Stimmt, eine Ortschaft Ludwigsburg taucht da auf.
Eva Högl, SPD: Sie beide haben sich in der Pause angeregt unterhalten. Konnten Sie Ihren Erinnerungen auf die Sprünge helfen?
Dressler: Wir sind bei dem Stand von vorher stehengeblieben.
Högl: Wenn ich es richtig sehe, ist die zweite Liste, die in der Rewe-Tüte lag, damals gar nicht gesichtet worden.
Dressler: Ja. Sie hätte der Auswertung zugeführt werden müssen. Es ist unerklärlich, warum das nicht geschah. Die Schreckschusswaffe in der Tüte wurde ja auch ausgewertet.
Petra Pau, Linksfraktion: Herr Brümmendorf, kannten Sie einige der Namen auf der Liste?
Brümmendorf: Ja. Wohlleben, Gerlach, Kai Dalek.
Pau: Was hatten Sie mit Kai Dalek zu tun?
Brümmendorf: Er war Beschuldigter in einem Ermittlungsverfahren. Detailliert kann ich mich nicht erinnern.
Pau: Dalek war ein exponierter Rechtsextremist. Und er war V-Mann des bayrischen Verfassungsschutzes. Wußten Sie das damals?
Brümmendorf: Müsste schon bekannt gewesen sein. Ja.
Pau: Wussten Sie auch von anderen V-Leuten, zum Beispiel Corelli?
Brümmendorf: Nein. Lediglich von Kai Dalek.
Pau: Haben Sie deshalb die Liste nicht weiter behandelt, um nicht in Konflikt mit dem Verfassungsschutz zu kommen?
Brümmendorf: Nein. Ich hatte den Auftrag, Fahndungsansätze zu erbringen.
Im Rund des Ausschusses sind ständig Vertreter der Regierung und der Ermittlungsbehörden anwesend. Sie wissen genau, wonach der Ausschuss sucht. Wolfgang Wieland, Obmann der Bündnisgrünen, wendet sich nun explizit an die Vertreter des Bundesjustizministeriums und der Generalbundesanwaltschaft und will von ihnen wissen, warum sie den Ausschuss ein Jahr lang nicht darüber informiert haben, dass es zwei Mundlos-Listen gibt.
Wolfgang Wieland, Bündnisgrüne: Sie sitzen die ganze Zeit hier und hören zu und keiner sagt: ,Da gibt es noch eine zweite Liste‘. Sie haben uns hier im Nebel rumstochern lassen!
Gerd Kaiser, Oberstaatsanwalt, Generalbundesanwaltschaft: Unterlagen aus laufenden Ermittlungen werden nur auf Anforderung vorgelegt. Sie wurden erst am 29.1.2013 angefordert. Wir haben sie durch das BKA zustellen lassen und unverzüglich an den Ausschuss gegeben. Wir haben nichts zurückgehalten. Diesen Vorwurf weise ich im Namen des Generalbundesanwaltes zurück.
Wieland: Es hat fast einen ganzen Monat gedauert. Sie wissen doch, welchen Zeitdruck wir hier haben.
Ministerialdirigent Hans-Georg Engelke hat im Auftrag des Bundesinnenministers die Aktenvernichtungen im Bundesamt für Verfassungsschutz eine Woche nach dem Aufdecken des NSU-Trios untersucht. Er hat vor dem Ausschuss bereits einmal im Herbst referiert und dabei in öffentlicher Sitzung mehr Antworten verweigert, als gegeben. Der Ausschuss hatte Nachfragen. Jetzt ist der Regierungsbeauftragte zum zweiten Mal da und legt einen ähnlichen Zeugenauftritt hin. Zusammengefasst: Die vernichteten Akten hätten keinen NSU-Bezug gehabt. Die Vernichtungen seien aus formalen Gründen, wie Fristabläufe, geschehen. Konkretes könne er nur in eingestufter Sitzung sagen, sprich: unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Engelke verbreitet erneut eine rhetorische Wolke, hinter der er versteckt, wie Nachfragen der Abgeordneten entlarven, dass er lediglich „glaubt, dass es keinen Bezug zum NSU“ gab. Nicht, dass er es weiß. Er habe keine Hinweise darauf gefunden. Dann relativiert er die Aussage weiter: Er habe nicht gesagt, dass es „keine Bezüge zum NSU“ gab, sondern, dass sie „nicht so groß“ gewesen seien. Und schließlich kommt raus: Den Referatsleiter, der die Aktenvernichtung anwies, hat Engelke gar nicht mehr befragt. Es laufen Disziplinar- und Strafverfahren gegen den Mann. Warum, wenn alles so korrekt war? Im Sommer 2012 trat BfV-Präsident Heinz Fromm wegen der Aktenvernichtungen zurück. Sollte das ein Mißverständnis gewesen sein? Warum hat eine BfV-Mitarbeiterin gegen die Anweisung zur Aktenvernichtung remonstriert, sprich: sich geweigert, wenn alles seine Ordnung hatte? Die Frau ist nicht nur dienst-, sondern auch reiseunfähig. Sie soll von zwei Mitgliedern des Ausschusses zuhause in ihrem Wohnort Köln vernommen werden.
Beate Zschäpe und der Thüringer Verfassungsschutz. Gab es eine Verbindung? Die Frage wird durch den Auftritt des früheren Thüringer Verfassungsschützers Norbert Wiesner nicht klarer. Wiesner war für Anwerbungen verantwortlich. Unter anderem rekrutierte er den Neonazi Tino Brandt. Dass Zschäpe eine Kandidatin gewesen sein soll, sagt Wiesner, habe er mit Erstaunen in der Zeitung gelesen, aber es stimme nicht. Ebenso wenig die angeblichen Hinderungsgründe: Drogenkonsum bzw. Depressionen. Wiesner kontert damit die Aussage seines Kollegen Mike Baumbach, der eben das dem Ausschuss berichtet hat: Es sei überlegt worden, Zschäpe anzuwerben. Wegen ihrer psychisch labilen Verfassung habe man aber davon Abstand genommen. Warum sollte Baumbach das gesagt haben, wenn es nicht stimmt? Ohne Not?
Spielt der Neonazi und NPD-Mann Ralf Wohlleben eine größere Rolle? Er war mutmaßlich V-Mann des BfV. Wohlleben muss mit den Untergetauchten in Kontakt gestanden haben. Er besorgte von Zschäpe eine Rechtsanwaltsvollmacht. Doch Wohlleben habe das untergetauchte Trio abgeschirmt und selbst Nachfragen unterbunden, so dass auch V-Mann Brandt die drei in der Szene nicht mehr thematisiert habe, um nicht als Spitzel verdächtigt zu werden.
Vieles um die monströse Mordserie der Jahre 2000 bis 2007 ist nach wie vor im Dunkeln. Aber auch, was am 4. November 2011 geschah, dem Tag, als mit dem Tod von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos die NSU-Terrorgruppe bekannt wurde. Was der Ex-Verfassungsschützer Norbert Wiesner über jenen Tag schildert, ist mehr als irritierend. Er war seit Sommer 2011 im Ruhestand. Aber am 4. November habe er einen Anruf des Leiters der Polizeidirektion Gotha, Michael Menzel, bekommen. Der habe ihm vom Tod Böhnhardts und Mundlos' erzählt und wollte wissen, wo sich Beate Zschäpe aufhalte. Wenn das jemand wisse, habe er, Wiesner, geantwortet, dann Wohlleben. Die Abgeordneten werden neugierig und bohren nach. Wiesner weiter: „Angerufen hat mich Menzel, weil wir uns aus meiner Zeit im Landeskriminalamt kannten. Er wusste, dass ich davor im Landesamt für Verfassungsschutz tätig war. Er hat noch hinzugefügt, dass er das LfV nicht unterrichten werde. Er hat gedroht, notfalls zum Amt zu gehen und die Akten zu beschlagnahmen.“ Kriminaldirektor Menzel ging offensichtlich davon aus, dass das LfV die ganze Zeit wusste, wo sich das Trio aufhielt.
In dieses Puzzle könnte auch der Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn im April 2007 passen. Kiesewetter stammt aus dem Landkreis Saalfeld-Rudolstadt in Thüringen, eine der Umtriebsgegenden des rechtsextremen Thüringer Heimatschutzes, zu dem das Trio Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe gehörte. In ihrem Heimatort betreibt der Schwager von Ralf Wohlleben eine Gastwirtschaft, die von Leuten aus der rechten Szene besucht wird. Sie war mit einer Polizistin befreundet, die mit einem Mann aus dieser Szene verheiratet ist. Ihr Patenonkel Mike Wenzel arbeitete beim polizeilichen Staatsschutz in Saalfeld. Er hatte nach dem Mord an seiner Nichte zielsicher einen Zusammenhang mit den vorangegangenen neun Ceska-Morden hergestellt. Der Vorgesetzte von Wenzel ist jener Kriminaldirektor Michael Menzel aus Gotha. Man kann davon ausgehen, dass das NSU-Netzwerk sowohl Verfassungsschützer als auch Ermittler kannte.