Forschung zur NS-Vergangenheit: Morsches Fundament
Die Bundesbehörden geben viel Geld aus, um eigene NS-Belastungen zu erhellen. Doch Auftragsforschung kann problematisch sein.
BERLIN taz | Es geht um Biografien wie die des Juristen Eduard Dreher. 1943 war er als Staatsanwalt in Innsbruck an Todesurteilen wegen Bagatelldelikten beteiligt. Nach dem Krieg machte er Karriere im Justizministerium und wurde Ministerialdirigent. 1968 schrieb Dreher in dem unscheinbaren Ordnungswidrigkeiten-Gesetz einen Passus, der einen großen Teil von NS-Tätern fortan wirksam vor der Justiz schützte.
Danach konnten auch Planer des Holocaust im Reichsicherheitshauptamt de facto nicht mehr für Mord, sondern nur noch für Mordversuch angeklagt werden. Und der war 1960 verjährt. Der Bundestag winkte das Gesetz durch – offenbar ohne zu bemerken, was er tat.
Die Geschichte der NS-Belasteten in den Führungsetagen ist im Großen und Ganzen bekannt. Aber wie viele waren es in Ministerien und Behörden genau? Haben sich die Exnazis angepasst, um dem Scheinwerferkegel der in den 60er Jahren zunehmend kritischen Öffentlichkeit zu entgehen? Oder waren sie doch von NS-Ideologie beseelt?
Was wird erforscht? Untersucht wird derzeit die Geschichte von vier weiteren Ministerien und zwei Behörden.
Bundesnachrichtendienst: Für die Analyse des BND ist unter anderem Klaus-Dietmar Henke verantwortlich. Es geht um eine Gesamtgeschichte des BND. Aktenlage: schwierig. Kosten: 2 Millionen Euro. Fertigstellung: 2016
Wirtschaftsministerium: Die Erforschung ist mit 3,9 Millionen Euro opulent ausgestattet. Ziel: eine Geschichte des Ministeriums von 1919 bis 1990 in vier Bänden.
Finanzministerium: Budget: 1,1 Millionen Euro. Adam Tooze und Ulrich Herbert befassen sich nur mit der Zeit bis 1945. Näheres unter: www.reichsfinanzministerium-geschichte.de
Arbeitsministerium: Wird untersucht unter anderem von Alexander Nützenadel. Aktenlage: gut. Am 25. Juni findet in Berlin ein Symposion zum Thema statt.
Verfassungsschutz: Constantin Goschler und Michael Wala haben 250.000 Euro Budget. Auch die Quellenlage ist bescheiden.
Abgeschlossen: Studien über das Auswärtige Amt und über Altnazis im Bundeskriminalamt.
Ist es Common Sense, dass die Übernahme der Funktionseliten aus NS-Zeiten der Preis für den Aufbau der Demokratie war? Oder war das Fundament der Bundesrepublik, institutionell gesehen, doch morsch?
Diese Fragen ventilierte am Mittwoch ein Symposion in Berlin zur Erforschung der NS-Geschichte bundesdeutscher Ministerien (siehe unten stehender Kasten).
Im Justizministerium war fast die Hälfte NS-belastet
Dem Bundesjustizministerium kommt dabei eine zentrale Rolle zu. Es beeinflusste nicht nur die Verfolgung von NS-Tätern, es war auch der Ort, an dem die Republik zum Rechtsstaat modelliert wurde. Die Studie „Die Rosenburg“, benannt nach dem ersten Bonner Sitz des Justizministerium und herausgegeben von Manfred Görtemaker und Christoph Safferling, versucht eine Bestandsaufnahme.
Ende der 50er Jahre waren 48 Prozent aller Beamten im Ministerium NS-belastet, bei den Abteilungsleitern sogar 60 Prozent. Diese Zahlen nennt der Rechtsprofessor Joachim Rückert in einem Aufsatz für den Band – und kommt zu einem erstaunlichen Schluss: Es war alles nicht so schlimm. Die reinen Zahlen mögen zwar „niederschmetternd“ klingen. Doch die NS-Belasteten seien „einfach eine professionelle Elite in neuer Funktion“ gewesen.
Die Juristen aus der NS-Zeit hätten, so Rückert, nach 1945 „einigermaßen erschütternde Entnazifizierungsverfahren“ ertragen müssen. Die NS-Belasteten im Justizministerium erscheinen bei Rückert eher als Opfer einer juristisch kenntnislosen, empörungsbereiten Öffentlichkeit.
So seien Drehers Todesurteile nur Teil „einer ziemlich rohen Kriegsjustiz“ gewesen. Harte Zeiten, harte Urteile. Außerdem sei Dreher nicht typisch für die NS-Belasteten gewesen. Sondern jemand wie Karl Dallinger, ein Fachmann, über den nichts Übles zu sagen sei, schreibt Rückert.
Rückerts Aufsatz zeigt eine gewöhnungsbedürftige Publikationspraxis
Was klingt wie eine Generalabsolution, ist ein Herzstück des Bandes „Die Rosenburg“. Man mag dies für ein Indiz halten, dass es mit dem Konsens, dass die Integration der Eliten moralisch skandalös, aber funktional war, doch nicht so weit her ist. Schon die Studie „Das Amt“, die der Legende von den unpolitischen Diplomaten im Dritten Reich widerspracht, löste eine Kontroverse aus. Es war noch einmal das Duell Aufbaugeneration gegen 68er.
Rückerts Aufsatz zeigt auch eine gewöhnungsbedürftige Publikationspraxis. Die Forschung, die Sichtung der Personalakten hat noch gar nicht begonnen. Der Band „Die Rosenburg“, immerhin von Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) beim Symposion in Berlin vorgestellt, enthält daher kaum Neues. War es nicht mal Usus, erst zu publizieren, wenn man schon geforscht hat?
Herausgeber Christoph Safferling hat inzwischen recherchiert, dass Dreher in Innsbruck an weit mehr Todesurteilen beteiligt war als bisher bekannt. Rückerts schräge Thesen stehen auch faktenmäßig auf sandigem Grund.
Es geht nicht nur um das Justizministerium, das für die Forschung rund 1 Million Euro lockermacht. Fast alle Ministerien werden auf NS-Kontinuitäten analysiert. Rund 10 Millionen Euro kosten diese Projekte zusammen. Ausgelöst hat diese Forschungslawine die Kontroverse um „Das Amt“. Weil sich die NS-Forschung akademisch seit Jahren auf dem absteigenden Ast befindet, wird dies wohl das letzte große Historikerprojekt zur NS-Zeit sein.
Auftragsarbeiten mobilisieren oft Misstrauen
Doch Auftragsarbeiten mobilisieren oft Misstrauen. Schon die Herausgeber der vom damaligen Außenminister Joschka Fischer (Grüne) beauftragten Studie über „Das Amt“ wurden als „Fischers willige Helfer“ denunziert. Das war dumme Polemik. Doch die Frage, ob Historiker einen Graubereich betreten, wenn Auftraggeber und Forschungsgegenstand in eins fallen, ist nicht abwegig. Manfred Görtemaker, Mitherausgeber von „Die Rosenburg“, lobt darin ausführlich das geschichtspolitische Wirken des FDP-Justizministers Hans Engelhardt, Vorgänger und Parteifreund von Leutheusser-Schnarrenberger. Auch wenn das sachlich begründet sein mag: Es hat schnell einen Geschmack.
Die Gefahr ist nicht, dass die Ministerialbürokratie den Historikern sagt, wo es langgeht. Sondern dass die Historiker „Teil der Kommunikationsstrategie der Auftraggeber“ werden, so Constantin Goschler, der die NS-Vorgeschichte des Verfassungsschutzes erforscht. Der selbstkritische Umgang mit der Vergangenheit ist, 50 Jahre danach, eher imageförderlich. Die frühere NS-Belastung von Ministerien lässt sich gut als glücklich überwundener und nun wissenschaftlich analysierter Missstand inszenieren. Der Wandel zur demokratischen Vorzeigeinstitution erscheint damit umso glänzender.
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