Forscher der Arbeitsagentur für Regulierung: Jede zweite Neueinstellung befristet
Die Flexibilisierung nimmt zu und auch die Frauen-Teilzeitarbeit verdoppelte sich, so das Forschungsinstitut der Arbeitsagentur. Der Staat könnte aber regulierend eingreifen.
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BERLIN taz | Normalarbeitsverhältnisse werden weniger - trotzdem sind sie "kein Auslaufmodell". So lautete das Fazit des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), einer Forschungseinrichtung der Agentur für Arbeit, am Donnerstag.
Noch immer arbeiten laut der Studie 60 Prozent der Erwerbstätigen Vollzeit, unbefristet und sozialversicherungspflichtig. Und die durchschnittliche Beschäftigungsdauer liegt mit 10,8 Jahren sogar etwas höher als 1992. Damals waren es 10,3 Jahre. "Aber an den Rändern bröckelt es, die Arbeitswelt driftet auseinander", sagte Joachim Möller, Direktor des IAB. Das liege daran, dass es immer mehr Leiharbeits-, Teilzeit- und befristete Beschäftigungsverhältnisse gebe.
So geschieht mittlerweile fast jede zweite Neueinstellung befristet - vor zehn Jahren war es erst jede dritte. Die Zahl der Teilzeitbeschäftigten, darunter vor allem Frauen, hat sich in den letzten 15 Jahren verdoppelt, von 4,35 Millionen auf 8,7 Millionen. Und die Anzahl der Solo-Selbstständigen, der 400-Euro-Jobber und der Leiharbeiter nimmt stetig zu.
"Auch das Normalarbeitsverhältnis sieht heute anders aus als vor 20 Jahren", betonte Ulrich Walwei, Vizedirektor des IAB. Flexible Lohn- und Arbeitszeitmodelle, Arbeitszeitkonten und die Nutzung von Kurzarbeit führe dazu, dass dieser Bereich der Beschäftigung "mehr atme".
Das IAB sieht darin jedoch keinen automatischen Trend für die Zukunft. Vielmehr gebe es Möglichkeiten für die Politik, einzugreifen. Die Forscher präsentierten gleich mehrere Ideen.
Zum Beispiel einen "Mindestlohn mit Augenmaß": "Bessere Bezahlung im unteren Bereich kann zur Beschäftigungsstabilität beitragen", sagte Möller. In der Leiharbeit spricht sich das IAB für eine stufenweise Einführung des Grundsatzes "gleicher Lohn für gleiche Arbeit" aus. Spätestens nach sechs Monaten sollten Leiharbeiter wie Stammbeschäftigte bezahlt werden. Allerdings setzt das IAB zuerst auf die Tarifpartner. "Aber wenn das scheitern sollte, wäre der Gesetzgeber gefragt", sagte Möller.
Zurückdrehen würden die Forscher auch die Steuer- und Abgabenprivilegierung für die 400-Euro-Minijobs. So hoffen sie, größere Anreize für Normalarbeitsplätze zu setzen. Als Jobchance für vor allem gering qualifizierte Arbeitslose gedacht, üben heute allein zwei Millionen Menschen einen 400-Euro-Job als zusätzlichen Nebenerwerb aus. "Das sind wohl kaum schwer Vermittelbare", sagte Walwei. Sein Fazit: Deutschland hat durch atypische Erwerbsformen den Arbeitsmarkt für gering Qualifizierte geöffnet, "doch an Brücken in normale Beschäftigung hapert es".
Handlungsbedarf sieht Möller auch beim Thema Fachkräftemangel: "Wir müssen Qualifizierung ganz, ganz groß schreiben." Sonst drohe eine weitere Spaltung des Arbeitsmarktes in gut bezahlte Facharbeiter und unsicher Beschäftigte.
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