Forscher bloggen über Wissenschaft: Forschungsgelder sind Steuergelder
Um die Menschen nicht als Laien zurückzulassen, erklären immer mehr Profis Wissenschaft. Im Internet verbreiten sich Blogs, Youtube-Videos oder Missionstagebücher.
STUTTGART dpa | Wenn Florian Kohn der Welt seine Forschungen erklärt, hat er eigentlich Feierabend. Dann schreibt der Biologe von der Universität Hohenheim die Beiträge für seine „Missionstagebücher“ im Internet. „Anfangs war das nur für meine Familie und Kollegen gedacht“, erzählt der 33-jährige Stuttgarter.
Als er für ein Raketenprojekt nach China reiste, wollte er die Daheimgebliebenen auf dem Laufenden halten. Dann aber schickten Wissenschaftler anderer Institute den Link an ihre Freunde, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) sowie User in Raumfahrtforen bekamen Wind davon. Er erhielt Mails von ihm unbekannten Lesern. Das weckte den Ehrgeiz.
Bei seinem Projekt zur Signalübertragung in menschlichen Zellen in der Schwerelosigkeit war er vor kurzem in Bordeaux, Frankreich, zum Parabelflug. Im „Missionstagebuch“ beschreibt er unter anderem, wie die Zellen präpariert werden und dass für benötigte Chemikalien schon Monate vorher alle Sicherheitsdokumente vorgelegt werden müssen.
Aber die Leser erfahren auch Details jenseits der Forschung. So schreibt Kohn über Probleme bei der Hinfahrt: „Wenn es im Motor verbrannt riecht, erkennen auch wir Biologen, dass was nicht stimmt.“
Wissenschaft für alle
Kohn und seine Co-Autorin und Kollegin Claudia Ulbrich haben sich vorgenommen, Laien ihre Forschung zu erklären. „Wissenschaftler kriegen eh wissenschaftliche Aufsätze“, sagt Kohn. „Unsere Texte soll jeder verstehen, der keinen wissenschaftlichen Hintergrund hat.“ Allzu sehr gehen die beiden daher nicht ins Detail. „Ich hab aber immer wieder harte Fakten untergeschmuggelt“, lacht Kohn.
Er vergleicht die Tagebücher mit den YouTube-Videos von Astronaut Chris Hadfield, der mit einer Interpretation des David-Bowie-Hits „Space Oddity“" auf der Internationalen Raumstation ISS bekannt wurde. Hadfield erklärt in den Videos unter anderem, wie man sich im Weltall die Zähne putzt und was beim Auswringen nassen Stoffs passiert.
Kohn und Ulbrich haben sich keine Regeln gesetzt, die Stuttgarter wollen beim Verfassen ehrlich bleiben. „Wir schreiben auch, wenn etwas schiefgeht, würden aber keine Schuldzuweisungen machen“, sagt der 33-Jährige. Frei nach der wissenschaftlichen Devise: „Fehlschläge sind nicht schlimm, solange man etwas daraus lernt.“
Bringschuld der Wissenschaftler
Immer mehr Forscher schreiben im Internet über Wissenschaft – manche über eigene Projekte, andere allgemein. Anfang der 2000er Jahre hätten die ersten mit Blogs angefangen, sagt Beatrice Lugger vom Nationalen Institut für Wissenschaftskommunikation. Sie sieht Wissenschaftler sogar in der Pflicht: „Die haben eine Bringschuld, auf die Gesellschaft zuzugehen. Forschungsgelder sind Steuergelder.“ Ein Vorteil von Blogs sei, dass sich Menschen auf dieser Ebene eher trauten, Wissenschaftlern Fragen zu stellen.
„Es bringt jedem Forscher was, mit Nicht-Fachpublikum über seine Forschung zu sprechen“, sagt Dorothee Menhart von Wissenschaft im Dialog. Viele berichteten, dass sie über das Erläutern ihrer Arbeit selbst neue Erkenntnisse gewinnen.
Manche wittern laut Ilka Bickmann von der Gesellschaft für Wissenschaftskommunikation aber auch die Gefahr, kopiert zu werden. Vorbehalte gebe es zudem gegen lockere Sprache im Netz und dass schnelle Aktivität gefordert sei.
Projekte infrage stellen
Aber auch innerhalb der Expertenszene können Wissenschaftsblogs hilfreich sein, sagt Professorin Annette Leßmöllmann, die sich an der Hochschule Darmstadt unter anderem mit Social Media in der Wissenschaftskommunikation befasst. „Es gibt heftige Debatten über Wissenschaftlichkeit.“ Dabei werde in Kommentaren durchaus auch mal die Relevanz eines Projekts oder Artikels komplett infrage gestellt.
Bedenken, dass im frei zugänglichen Internet Falschmeldungen veröffentlicht werden könnten, hat sie nicht. „Sobald sich die Leute vernetzen, müssen sie sich überlegen, ob sie ihr Gesicht verlieren wollen oder lieber keinen Humbug schreiben“, sagt Leßmöllmann. Tendenziell seien deutsche Wissenschaftler zurückhaltender als etwa Kollegen aus Frankreich. Seriös ermittelte Zahlen gibt es aber nicht.
Leßmöllmann empfiehlt Forschern, sich bekannten Seiten wie scilogs.de oder scienceblogs.de anzudocken, hinter denen namhafte Verlage stecken. Da Blogs in der Regel immer auf Verständlichkeit aus und auch Experten jenseits ihrer Spezialgebiete Laien seien, könnten den Beiträgen in der Regel auch Nicht-Fachleute folgen.
Blogaffine Version
Einen Brückenschlag versucht die Fraunhofer Gesellschaft mit forschungs-blog.de und dem sogenannten Dual-Blogging. Dabei steht einem Fachartikel in einer parallelen Spalte eine „blogaffine“ Version gegenüber, die lesernäher sein soll. „Die Fachsprache der Wissenschaft entspricht nicht immer unbedingt dem, was man auf Facebook in der Mittagspause freundlich interessiert durchliket.“
Die Fachleute kritisieren an den mit vielen Fotos gespickten „Missionstagebüchern“ aus Hohenheim, dass typische Blogeigenschaften wie Möglichkeiten zum Kommentieren fehlen. „Wenn man so etwas macht, sollte man auf jeden Fall zum Dialog einladen“, sagt etwa Lugger.
Kohn und Ulbrich wollen nun erst mal die vorhandenen Texte ins Englische übersetzen, um sie einer größeren Leserschaft zugänglich zu machen. Das DLR wolle das Missionstagebuch zur Chinareise als Buch veröffentlichen, erzählt Kohn. „Das positive Feedback bestärkt uns.“
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