Formel-1-Champion Sebastian Vettel: Weltmeister ist nicht gut genug
Sebastian Vettel ist der jüngste WM-Gewinner der Formel 1. Doch das reicht nicht. Er muss noch besser werden. Zumindest besser als Michael Schumacher.
Sebastian Vettel schluchzt. Die Gelassenheit ist weg, am Steuer seines Wagens bringt der blonde Typ mit dem blendenden Lächeln keinen Ton mehr raus. "Ich liebe euch", ist einer der ersten Sätze, den Vettel mit Tränen in den Augen in Richtung Team krächzen kann.
Seit Sonntag hat Deutschland, das Land der Autofanatiker, das Land ohne Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen, das Land der Sportskanonen, einen neuen Weltmeister: Sebastian Vettel aus Heppenheim.
Mit 23 Jahren ist Vettel der bisher jüngste Weltmeister der Formel 1. Davor wurde er bereits der jüngste Grand-Prix-Gewinner, der jüngste Formel-1-Pilot, der einen WM-Punkt erhielt, der ein Rennen anführte und der in der Pole Position startete.
Wow! Trotzdem: Die Superlative reichen nicht. Dieser Eindruck wird überdeutlich am Tag nach dem Sieg. Da herrschen Schlagzeilen vor, die vor allem vergleichen. Vergleichen mit dem einen: Michael Schumacher.
"Kind des Schumacher-Booms" schreibt das Hamburger Abendblatt, "Das nächste Ziel muss Seriensieger heißen", analysiert Zeit online, und Der Westen meint: "Vettel ist kein neuer Schumacher." Je nach Gusto der Journalisten steht Sebastian Vettel mal im Schatten des siebenfachen Weltmeisters Schumi, mal ist er ihm haushoch überlegen. Eines ist jedoch laut Zeit online klar: Sebastian Vettel muss "Michael Schumacher als Rekordhalter ablösen." Er soll liefern - und zwar Siege.
Immerhin hat es Schumacher - den Vettel schon als vierjähriger Steppke auf der Kartbahn vergötterte - auf 91 Siege und sieben Weltmeistertitel gebracht. Vettel hat bislang zehn Große Preise gewonnen - "und damit neun Rennen und einen Weltmeisterpokal mehr als Schumacher im gleichen Alter", so die bestechende Analyse von Zeit online. Mehr scheint nicht zu zählen: Vettel ist, könnte, sollte, müsste der neue Schumacher werden. Einfach gewinnen reicht nicht. Vettel muss weiteren Superlative gerecht werden.
Dabei ist Michael Schumacher, trotz seiner etlichen Siege, alles andere als nur beliebt gewesen. Er war die ewig funktionierende Maschine mit dem kantigen Kinn, der überheblichen Art und dem feixenden Grinsen. Und da waren Jahre der Langeweile in der Formel 1, als Schumacher immer als Erster vorneweg fuhr und niemand mehr zuschauen konnte, ohne zu gähnen.
Da waren Jahre, in denen man sich die Kopf-an-Kopf-Rennen von Schumacher und Häkkinen zurücksehnte. Doch Schumacher gewann wie ein Roboter. Auch nach seinem Ausstieg 2006 konnte er es nicht lassen, kam 2010 für Mercedes zurück - mit dem Resultat, dass er nur noch als "besserer Beifahrer" gilt.
Ein neuer Schumacher muss her, und nun kommt Vettel. Wild, ungeduldig, jung, fährt ein spannendes Rennen, das er nur knapp gewinnt. Obwohl der Hesse mit Red Bull das beste Auto hatte, entschied sich doch erst im allerletzten Rennen in der Wüste von Abu Dhabi der Weltmeistertitel. Bis dahin hieß es: Webber oder Alonso. Vettels Erfolg war von technischen Pannen, menschlichen Fehlern, Glück und Pech abhängig. Er war nicht vorhersehbar, startete in 10 von 19 Rennen von Position 1, nutzte das aber nur dreimal zum Sieg.
Trotzdem kann sich Deutschland nicht einfach über den neuen Weltmeister mit dem "sonnigen Gemüt", "schelmischen Lachen" und "großen Ehrgeiz" freuen. Ein ähnliches Problem hat die Fußballnationalmannschaft: Auch sie ist jung, dynamisch, strotzt vor Selbstbewusstsein, spielt schönen und mutigen Fußball und rumpelt nicht so wie die Tormaschinen früherer Jahre. Nur leider gewinnt sie nicht immer.
Seinen Boulevardspitznamen "Baby Schumi" hat Sebastian Vettel mit seinem WM-Sieg wohl abgestreift. Aber Deutschland will Leistung, Leistung, Leistung - auch wenn der Athlet dafür zur Mensch-Maschine werden muss. Erst dann wird die Öffentlichkeit Vettel wohl aus dem Schumi-Schatten entlassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern