Forderung nach Neuwahlen in Lettland: Randale nach Protesten in Riga
10.000 Menschen haben in Lettlands Hauptstadt gegen die Regierung protestiert. Sie werfen dem Premier Korruption und wirtschaftliche Inkompetenz vor.
Mit Tränengas, Schlagstöcken und nach offiziell unbestätigten Meldungen auch mit Gummigeschossen ging die Polizei in Lettlands Hauptstadt Riga am Dienstagabend gegen mehrere hundert vorwiegend jugendliche DemonstrantInnen vor, die das Parlamentsgebäude zu stürmen versuchten. Es gab 138 vorübergehende Festnahmen und Dutzende Verletzte vor allem aufseiten der DemonstrantInnen. Erst nach mehreren Stunden gelang es der Polizei, die Lage unter Kontrolle zu bringen.
Begonnen hatte der Abend mit einer friedlichen Protestdemonstration gegen die Regierung, an der mehr als 10.000 Menschen teilgenommen hatten. Verschiedene RednerInnen der parlamentarischen Opposition und der Gewerkschaften forderten dabei die Auflösung des Parlaments und die Ausschreibung von Neuwahlen.
In Lettland gärt es seit mehreren Monaten. Im August des vergangenen Jahres war ein Referendum über die Möglichkeit einer vorzeitigen Parlamentsauflösung auf dem Weg einer Volksabstimmung nur knapp gescheitert. Im Herbst gab es mehrere Demonstrationen gegen die Wirtschafts- und Sozialpolitik der Regierung.
Lettland erwartet mit einem Schrumpfen der Wirtschaft um 8 Prozent in diesem Jahr die stärkste Rezession aller EU-Staaten. Die Finanzkrise hat das Land schwer getroffen. Im November war die Regierung gezwungen, Parex, die zweitgrößte Bank des Landes, durch Verstaatlichung vor der Pleite zu retten. Das brachte die gesamten Staatsfinanzen durcheinander. Daraufhin musste Riga vor einigen Wochen einen 7,5 Milliarden Euro schweren Kredit der EU und des Internationalen Währungsfonds in Anspruch zu nehmen. Mit einer Senkung der Löhne der öffentlich Angestellten, Kürzungen an den Sozialausgaben und der Erhöhung von Steuern - unter anderem der Mehrwertsteuer - versucht man, das Staatsdefizit in Grenzen zu halten.
Ansonsten zeichnet sich die Regierung unter Ministerpräsident Ivars Godmanis vor allem durch Hilflosigkeit und Symbolpolitik aus. So soll etwa die Zahl der Ministerien verringert werden - was nur einen minimalen Spareffekt haben dürfte. Und in seiner Neujahrsansprache empfahl Godmanis den LettInnen für die anstehenden schweren Zeiten, sich doch einfach wie die Pinguine zu verhalten: Die würden auch zusammenrücken, um sich bei Kälte gegenseitig zu wärmen.
Auf der Protestkundgebung wurde stattdessen gefordert, die Regierung solle endlich gegen die weitverbreitete Korruption vorgehen und die reichen Oligarchen zur Kasse bitten und nicht den Teil der Bevölkerung, der es bereits schwer genug hat.
Doch die Regierung stellt sich taub. Die Proteste seien aus dem Ausland - gemeint war offenbar Russland - organisiert worden, behauptete Godmanis am Dienstagabend im Fernsehen, obwohl es dafür keinerlei Anhaltspunkte gibt. "Das ist ein allgemeiner politischer Protest", sagt beispielsweise Anders Alexanderson, ein schwedischer Professor an der Handelshochschule in Riga.
Mehrere Medienkommentatoren sehen es nur noch als eine Frage der Zeit, dass sich die Regierung, die jeden Kredit verspielt hat und deren Parteien laut Meinungsumfragen bei Neuwahlen nicht einmal mehr die 5-Prozent-Sperrklausel überspringen würden, nicht mehr an der Macht halten kann.
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