Forderung nach Entschädigung: Händler wollen Geld vom Staat
Verbraucher haben aus Angst vor verseuchtem Gemüse bis zu ein Drittel weniger gekauft. Lebensmittelhändler fordern nun finanzielle Entschädigung für Verkaufseinbußen.
BERLIN taz | Nach den Bauern wollen jetzt auch die Lebensmittelhändler Geld wegen des lebensgefährlichen Darmkeims Ehec: Der Handelsverband Deutschland (HDE) forderte am Montag Entschädigungen vom Staat, weil seine Mitglieder wegen der Warnungen vor möglicherweise kontaminiertem Gemüse weniger verkauft hätten.
"Alle Branchen müssen gleich behandelt werden", sagte HDE-Sprecher Kai Falk der taz. Die Europäische Union zahle auch 210 Millionen Euro für Gemüsebauern. "Man kann nicht mit zweierlei Maß messen, wenn es um Kompensationen geht. Der Handel ist auch Teil der Lebensmittelkette." Er habe wegen der Ehec-Krise bei manchen Produkten bis zu ein Drittel weniger eingenommen.
Grund war vor allem eine Warnung des Bundesinstituts für Risikobewertung und der für die Bekämpfung von Krankheiten zuständige Behörde Robert-Koch-Institut (RKI) vom 25. Mai. Sie rieten damals davon ab, rohe Tomaten, Gurken und Blattsalate zu essen. Zuvor hatte das RKI bei Umfragen ermittelt, dass Ehec-Patienten bedeutend mehr dieser Gemüsesorten verzehrt hatten als gesunde Vergleichspersonen. Zwei Wochen später zogen die Institute den Verzehrshinweis zurück, nachdem neue Studien auf Sprossen als Überträger hingewiesen hatten. Bis heute warnen die Behörden deshalb davor, Sprossen zu essen.
"Entschädigung steht nicht zur Diskussion"
Dieses Krisenmanagement der Behörden kritisierte der HDE ebenfalls. Die Branche wolle bei künftigen Krisen "mit am Tisch sitzen", wenn zum Beispiel über Warnungen vor bestimmten Lebensmitteln entschieden wird, sagte Verbandssprecher Falk. Der Handel könne da große Kompetenz beisteuern.
Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) ließ aber erklären: "Eine Entschädigung für den Handel steht für uns nicht zur Diskussion." Schließlich könne der Handel immer auf andere Produkte ausweichen, Landwirte seien aber meist auf sehr wenige Erzeugnisse beschränkt und hätten deshalb deutlich höhere Einbußen verzeichnet.
Aigners Sprecher ergänzte, es sei nicht zu erkennen, welche besondere Expertise der Handel in den Ehec-Krisenstab einbringen könnte. "Es würden sich auch datenschutzrechtliche Probleme stellen, sollten Wirtschaftsvertreter unmittelbar in das Krisenmanagement eingebunden sein, da Lieferbeziehungen anderer Wirtschaftsbeteiligter offengelegt würden." An den Folgen einer Ehec-Infektion oder des auch von diesem Keim verursachten hämolytisch-urämischen Syndroms sind seit Anfang Mai laut RKI 39 Menschen gestorben. 3.494 Personen seien erkrankt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Verfassungsklage von ARD und ZDF
Karlsruhe muss die unbeliebte Entscheidung treffen
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los