Folgen einer Abschiebung: Mit leeren Händen
Der Sammelabschiebeflug FHE 6842 hat die Familie Kpakou zerrissen. "Die Weggeworfenen" zeigt sie in ihrer neuen Nichtheimat.
Auf den ersten Blick sind es nur ein paar Umzugskartons in einer Garage irgendwo in Hessen, doch sobald Michael Loock sie öffnet, wird klar, dass wir hier gerade ein Endlager inspizieren, ein Endlager für die Träume und Hoffnungen einer Familie. Da ist etwa der Praktikumsbericht von Celestine, die so gerne Zahnarzthelferin werden wollte und als Schülerin schon mal die Chance bekam, in ihren Traumberuf hineinzuschnuppern - bevor die aus Togo stammende Familie Kpakou am 18. September 2006 abgeschoben wurde, nach 13 Jahren in Deutschland, in ein Land, das nur noch auf dem Papier ihre Heimat war. "Da hat man - und ich sag das jetzt so hart, wie ich es denke - mal einfach ein Leben zerstört", sagt der ehemalige Nachbar Loock in seiner Garage.
Teile der elfköpfigen Familie Kpakou waren an Bord des allerersten von Deutschland organisierten Sammelabschiebeflugs, über den die Geschwister Anita und Marian Blasberg Anfang 2008 eine Reportage für das Zeit Magazin Leben geschrieben haben. Sie flogen nach Togo, um zu recherchieren, was aus den 32 Passagieren von Flug FHE 6842 geworden ist, und erfuhren so auch vom Schicksal der Kpakous. "Als wir zurückkamen", erinnert sich Marian Blasberg, "hatten wir das Gefühl, dass man die Geschichte der Familie eigentlich in Bildern erzählen muss."
Gemeinsam mit dem befreundeten Fernsehjournalisten Lutz Ackermann schrieben sie ein Exposé für einen Dokumentarfilm, mit dem sie, ehe schließlich das ZDF zugriff, eine ganze Weile hausieren gingen. "Abschiebung haben wir schon zu oft gehabt", sei die Standardabsage gewesen, sagt Marian Blasberg.
Ein schwaches Argument, das ihr Film "Die Weggeworfenen - Geschichte einer Abschiebung" eindrücklich entkräftet, indem er von den fatalen Konsequenzen einer Behördenentscheidung erzählt - in Afrika wie in Deutschland. Die Abschiebung hat nicht nur die Familie Kpakou zerrissen - der schwerkranke Vater immer noch in Deutschland, die verzweifelte Mutter mit den kleineren Kindern im englischsprachigen Ghana, die Älteren in Togo, Schwester Belinda verschollen -, sondern auch enge, über Jahre gewachsene Freundschaften und eine zarte Liebe zwischen Richie Kpakou und Jule, die nun überlegt, ob sie Richie heiraten soll, sobald sie 18 ist. "Er erzählt mir immer weniger, will mir nichts vorheulen", sagt Jule im Film über ihre gelegentlichen Telefonate. Je länger sie getrennt sind, desto schwieriger wird es, ihre Beziehung aufrechtzuerhalten. "Es ist ein Kampf gegen das Vergessen", texten die Autoren und meinen damit auch die Arbeit des Unterstützerkreises im hessischen Cölbe bei Marburg, der von Deutschland aus den Lebensunterhalt der Familie in Afrika finanziert. Einige der Kinder haben zwar Ausbildungsplätze, so auch Celestine, die nun statt Zahnarzthelferin Näherin lernt, dafür allerdings wie in Togo üblich Lehrgeld zahlen muss.
In Ghana hat Richie kein Wort über sein Schicksal verloren, zu groß ist die Angst vor sozialer Ausgrenzung. Es reicht, dass die Familie seiner Mutter ihre Tochter verstoßen hat, weil die mit leeren Händen aus Europa zurückgekehrt ist. "Die Weggeworfenen" heißen Leute wie sie hier, Abfall wie die schwarze Plastiktüte, die Koautor und Kameramann Lutz Ackermann am Strand der togolesischen Hauptstadt Lomé gefilmt hat - ein bitterer Kommentar, dem sich die auch im Gespräch mit Behördenvertretern stets sachlichen Autoren nicht enthalten wollten.
Als man ihn nach dem bewegendsten Moment der Recherche fragt, erzählt Marian Blasberg vom letzten Abend in Togo: "Wir saßen mit einem Teil der Kpakous beim Bier zusammen und wussten, dass wir am nächsten Tag in unser altes Leben zurückkehren würden und sie nicht."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Frauen in der ukrainischen Armee
„An der Front sind wir alle gleich“
Wirkung der Russlandsanktionen
Der Rubel rollt abwärts