Folgen der Wirtschaftskrise: Jobagentur macht Miese
Die Agentur für Arbeit in Nürnberg droht durch die Krise in die roten Zahlen zu rutschen. Experten sagen ein Minus von 15 Milliarden voraus. Dafür muss der Steuerzahler aufkommen.
Die Zentrale der Arbeitsagentur in Nürnberg ist ein unauffälliges Hochhaus. Über zehn Stockwerke, viel Beton und Glas, alles grau in grau. Hier treffen ständig neue Krisennachrichten ein: Mittelständler melden weniger freie Stellen, Großunternehmen beantragen Kurzarbeit, der Jobmarkt bricht immer weiter ein. Doch nicht nur die Jobkrise wird in der Regensburger Straße kalkuliert, einige ExpertInnen der riesigen Behörde berechnen längst eine andere Krise. Die der Arbeitsagentur selbst.
Denn das einbrechende Wirtschaftswachstum beschert der Bundesagentur immense Mehrkosten. Im Geschäftsbericht 2008 war dieser Mechanismus noch sehr vorsichtig formuliert: "Für den Haushalt der BA entstehen neben dem erwarteten Zuwachs an Arbeitslosen auf jeden Fall durch die Konjunkturpakete - insbesondere die verlängerte und erweiterte Bezugsmöglichkeit des Kurzarbeitergeldes - Mehrbelastungen", hieß es in dem Bericht. Der Haushalt der BA wird, anders gesagt, in diesem Jahr tief in die roten Zahlen rutschen.
Dabei hat die Behörde im Aufschwung ein fettes Finanzpolster angesammelt. 17 Milliarden Euro Rücklagen waren Ende 2008 im Haushalt eingestellt. Seit dem Herbst schnürt die Krise aber nicht nur deutsche Unternehmen immer enger ein, sondern auch den Etat der Agentur. Von Januar bis April nahm sie 8,26 Milliarden Euro ein. Dem standen jedoch Ausgaben von 14,11 Milliarden Euro gegenüber. Bereits in den ersten vier Monaten des Jahres steht also unterm Strich ein sattes Defizit von fast 6 Milliarden Euro. Mit Verlusten dieser Größenordnung hat die Behörde noch gerechnet, sie liegen knapp unter den Planzahlen. Leider ist dieses Defizit längst von der Wirklichkeit überholt worden.
Es basiert auf der Wirtschaftsschrumpfung, die die Bundesregierung im Januar bekannt gegeben hatte. Damals ging sie von einem Rückgang des Bruttoinlandsproduktes um 2,25 Prozent aus. Seit Mittwoch glaubt die große Koalition allerdings an einen Konjunktureinbruch von 6 Prozent. "Damit sind unsere alten Annahmen hinfällig", sagt BA-Sprecherin Anja Huth. "Jetzt muss völlig neu gerechnet werden."
Gleich mehrere Effekte lassen das Finanzpolster der Agentur schmelzen wie Eis in der Sonne. Die Einnahmen aus der Arbeitslosenversicherung werden sich weiter verringern. Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) sagt inzwischen einen Anstieg der Arbeitslosenzahl um eine Million voraus. Sie läge dann im kommenden Jahr im Schnitt bei 4,6 Millionen. Außerdem werden die Ausgaben für das Kurzarbeitergeld weiter steigen. Erst Mittwoch hat die Regierung eine Verlängerung des Kurzarbeitergeldes auf 24 Monate beschlossen. Außerdem will sie die Firmen entlasten, indem die BA nach sieben Monaten die Sozialbeiträge komplett übernimmt. Bisher zahlt sie nur die Hälfte der Beiträge. Eine Novelle, die die BA-Finanzplaner noch nicht eingepreist haben - und die Situation der Behörde weiter verschärfen wird.
Dass der Agentur das Geld auszugehen droht, liegt laut dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel nicht allein an den steigenden Ausgaben durch die Wirtschaftskrise, sondern auch an einer Umstellung bei den Einnahmen. Neben den Beiträgen aus der Arbeitslosenversicherung erhält sie ein Prozent der Mehrwertsteuereinnahmen vom Bund für ihren Haushalt - 2009 sind das rund 7,8 Milliarden Euro. Wurde bislang der Zuschuss in Monatsraten überwiesen, zahlt der Bund ab diesem Jahr die Summe einmalig komplett im Dezember. Auch wenn diese Einnahmen dann eben verspätet eintrudeln, glauben viele Experten inzwischen an ein Rekorddefizit am Jahresende. Der Verwaltungsratschef der Agentur, Peter Clever, sagt: "Nach meiner Einschätzung könnten wir Ende 2010 bei einem Defizit zwischen 15 und 20 Milliarden Euro landen."
Für ihn ist klar: Die Beitragszahler könnten für diese Summe nicht geradestehen. "Das sind Schuldenlasten, die die öffentliche Hand übernehmen muss", forderte Clever. Will heißen, der Steuerzahler muss ran. Spätestens nach der Bundestagswahl im September wird diese Diskussion beginnen. Entweder haftet dann der Bund für das Defizit oder die künftige Koalition erhöht die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung. Letzteres wäre eine schnelle Korrektur. Erst zu Januar 2009 hatte die große Koalition die Beiträge von 3,3 auf 2,8 Prozent gesenkt - um die Bürger zu entlasten.
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