Flussregulierung an der Elbe: An 346 Tagen im Jahr schiffbar
Zehn Jahre nach dem verheerenden Elbhochwasser streiten die Anrainer über eine Staustufe im tschechischen Decín. Es geht mal wieder um die Frage: Naturschutz oder Wirtschaftlichkeit?
DRESDEN taz | Gemächlich, mit der Strömungsgeschwindigkeit von drei Stundenkilometern, treibt das Schlauchboot auf die Brücke zu. „Hier ist es passiert.“ Ernst Paul Dörfler zeigt auf die Brücke unterhalb von Pirna. „Vor dieser Brücke ist der tschechische Frachter havariert.“ Am liebsten, meint der Umweltaktivist des BUND, hätte die zuständige Wasser- und Schifffahrtsverwaltung die Havarie vertuscht.
Am Pfingstsonntag war die MS „Perun“ der tschechischen Reederei CSPL in Pirna bei Dresden auf Grund gelaufen. An Bord befanden sich 307 Tonnen Kalksalpeter. Auf eine Pressemitteilung verzichtete das Wasser- und Schifffahrtsamt Dresden. Die Polizei teilte mit, dass der Frachter unbeschädigt sei.
Zum Politikum wird die Havarie erst, als die Dresdner Morgenpost von drei Lecks im Schiffsrumpf berichtet. Die „Perun“ hatte die Elbe bei Niedrigwasser befahren – und einen seit zehn Jahren dauernden Streit über die Nutzung des Flusses neu entfacht. „Für die Wasser- und Schifffahrtsämter ist die Elbe eine fast durchgängig befahrbare Wasserstraße“, erklärt Dörfler, der für den BUND die Aktivitäten gegen den Elbeausbau koordiniert. „Niedrigwasser und Havarien dürfen da nicht vorkommen.“ Zehn Jahre nach der Jahrhundertflut von 2002 wird wieder gestritten an der Elbe: Diesmal aber nicht über neue Deiche oder Bollwerke, sondern über die Schiffbarkeit des Flusses, der im tschechischen Riesengebirge entspringt und nach 1.094 Kilometern bei Cuxhaven in die Nordsee mündet.
Ursache: Starker Regen, der am 9. August 2002 begann, ließ das Wasser auf Rekordhöhe steigen. Betroffen waren vor allem die Elbzuflüsse in Tschechien.
Verlauf: In Deutschland waren zunächst Nebenflüsse der Elbe, wie die Mulde und die Weißeritz, betroffen. Am 12. und 13. August flutete die Weißeritz den Dresdner Hauptbahnhof. Das Elbhochwasser traf Dresden am 16. und 17. August. Unter Wasser standen auch die Semperoper, der Zwinger und die Gemäldegalerie.
Opfer: In Tschechien starben 17 Menschen, in Sachsen 21. Die Schäden allein an der Semperoper beliefen sich auf 27 Millionen Euro.
Jahrhunderthochwasser: Schon vier Jahre später folgten neue Überschwemmungen: Betroffen war diesmal auch Niedersachsen. 2011 gab es die dritte Flut. Starkregen werden in Zukunft zunehmen.
Gedenken: In Dresden wurde anlässlich des zehnten Jahrestages ein Hochwasserlehrgang eingerichtet. Mehr unter hochwasser-lehrpfad-dresden.
Nach dem Wunsch der Regierung in Prag soll er an 346 Tagen im Jahr mit einer Mindesttiefe von 1,40 Meter schiffbar sein. Denn für sie ist der Fluss die wichtigste Verbindung zur Nordsee. Die deutsche Bundesregierung hat schon 2006 versprochen, die Elbe entsprechend auszubauen, unter anderem durch das Ausbaggern der Fahrrinne.
Wunschdenken
Umweltaktivist Dörfler hält das für falsch. Seiner Ansicht nach ist die Elbe keineswegs für den regelmäßigen Schiffstransport geeignet. Er hat die Wasserstände der Elbe der vergangenen Jahre ausgewertet und kommt zu dem Schluss: „Von 1997 bis 2009 hat die Elbe im Schnitt an 143 Tagen diese Tiefe nicht erreicht.“ Auch am Pfingstsonntag in Pirna, dem Tag der Havarie, sei die Elbe kaum befahrbar gewesen, sagt er: „Doch die Mär von der Elbe als Wasserstraße erlaubt es nicht, das zuzugeben. Lieber riskiert man es, einen Frachter auf Grund laufen zu lassen.“
Das Elbehochwasser in Tschechien und Deutschland hat in Decín wie Dresden bis heute keiner vergessen. 21 Menschen starben in Sachsen, in Tschechien waren 17 Tote zu beklagen. 2006 rollte schon wieder ein Jahrhunderthochwasser auf die Elbe zu. Seitdem warnen Meteorologen davor, dass extreme Wetterlagen zunehmen.
Eine solche sogenannte Vb-Wetterlage mit Starkregenfällen in Tschechien hatte auch die beiden Fluten an der Elbe ausgelöst. Gleichzeitig nehmen aber die Perioden zu, in denen das Wasser an der Elbe so niedrig steht, dass man durch den Fluss hindurchwaten könnte. Für den 62-jährigen Dörfler, Euro-Naturpreisträger und schon zu DDR-Zeiten Umweltaktivist, ist die Sache klar: „Die Elbe braucht keine neuen Buhnen und Staustufen. Die Elbe braucht mehr Raum.“ Um die frohe Botschaft zu verbreiten, lädt Dörfler seit 2002 zum „Dialog im Boot“.
Mehr Raum hat die Elbe in den vergangenen zehn Jahren tatsächlich bekommen. Für 12,4 Millionen Euro wurde im brandenburgischen Lenzen der Deich ins Hinterland verlegt und der Elbe ein neuer Polder von 420 Hektar verschafft. „Die größte Gefahr“, sagt Dörfler und steuert das Schlauchboot unter Dresdens Blauem Wunder hindurch, „droht inzwischen aus Tschechien.“ Damit meint er eine neue, 220 Millionen Euro teure Staustufe bei Decín, die die Regierung in Prag bauen will und, so sagt Dörfler, „Auswirkungen auf das ökologische Gleichgewicht der ganzen Elbe in Deutschland hätte“.
Anders als in Deutschland, wo das bislang einzige Wehr in Geesthacht die Binnenelbe von der durch die Gezeiten geprägte Tidenelbe trennt, wurde die Elbe in Tschechien bereits in den zwanziger Jahren staureguliert. Mit dem Ausbau zur Wasserstraße wollte die junge tschechoslowakische Republik die im Versailler Vertrag internationalisierte Elbe als Transportweg zur Nordsee nutzen.
Versailler Vertrag
Auch der Direktor der sächsisch-tschechischen Häfen, Jirí Aster, beruft sich auf den Versailler Vertrag. „Deutschland ist verpflichtet, die Elbe als Wasserstraße instand zu halten“, sagt er (siehe Interview). Mit dem Bau der nunmehr 25. Staustufe will Tschechien seinerseits sicherstellen, dass die Schiffe der Reederei CSPL auch bei Niedrigwasser in einen tschechischen Hafen kommen.
Ganz anders sehen das die Umweltschützer. „Eine Staustufe würde die Elbe unterhalb von Decín weiter eintiefen“, sagt die grüne Umweltpolitikerin Gerlinde Kallenbach. „Die Elbe braucht als naturnaher Fluss das Geschiebe vom Oberlauf.“ Auch die Auenwälder entlang des 400 Kilometer langen Biosphärenreservats Flusslandschaft Elbe seien von der Staustufe bedroht, heißt es. Das Umweltministerium in Prag hat inzwischen eine neue Umweltverträglichkeitsprüfung veranlasst. Die Reederei CSPL will sich von der Elbe zurückziehen, berichtet Dörfler. Am Rhein, wo tschechische Binnenschiffer seit dem EU-Beitritt fahren dürfen, verdient man mehr Geld.
Aufgeschreckt von Plänen des Bundesverkehrsministeriums, die Elbe künftig als Nebenwasserstraße zu deklarieren und auf weitere Investitionen in die Infrastruktur zu verzichten, veranlasste Jirí Aster den tschechischen Premierminister Petr Necas, einen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel zu schreiben. Die versicherte dem „lieben Petr“, dass die Zusage der Bundesregierung, die Elbe auf eine Tiefe von durchgängig 1,40 auszubauen, weiter gelte.
Nach sechs Stunden hat Dörflers Boot die Dresdner Altstadt erreicht. Hier hat die Elbe am 17. August 2002 einen Höchststand von 9,40 Metern erreicht. Dörfler: „Die Elbe auf 1,40 Meter auszubauen würde bedeuten, den Domfelsen bei Magdeburg zu sprengen und die besonders naturnahe und wilde Reststrecke zwischen Dömitz und Hitzacker mit Buhnen zu regulieren.“ Pessimistisch aber ist er nicht. „Die Gütertransporte an der Elbe gehen immer weiter zurück“, freut er sich. „Wenn Peter Ramsauer Ernst macht mit seiner Ankündigung, nur noch in profitable Strecken zu investieren, hat die Elbe gewonnen.“ Und die Staustufe wäre damit auch gestorben.
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