piwik no script img

Flüchtlinge im rechtlichen NiemandslandPlötzlich illegal

Medien berichten, das Bleiberecht der afrikanischen Flüchtlinge, die etwa in der St.-Pauli-Kirche leben, sei abgelaufen. Doch die Innenbehörde weiß gar nichts davon

Nimmt dort jemand die falschen Infos mit? Flüchtlingszelt am Steindamm Bild: dpa

HAMBURG taz | Afrikaner jetzt illegal in Hamburg“ titelte am Dienstag das Hamburger Abendblatt – und schnell übernahmen diese Nachricht auch andere Hamburger Medien. Die Rede ist von den afrikanischen Flüchtlingen, die seit März auf der Straße leben oder vorübergehend in einer Moschee, bei Kirchengemeinden und Wohlfahrtseinrichtungen untergekommen sind. Ihre Pässe seien nun abgelaufen, schrieb die Zeitung: Rechtlich gesehen müssten die Männer nun in ihre Heimatländer oder nach Italien abgeschoben werden.

Unterstützer und Experten fragen sich, auf welchen Fakten diese Meldung beruht. Plötzlich illegal – was steckt dahinter? „Das ist eine Pauschalisierung, die nicht belegt werden kann“, ist sich Pastor Sieghard Wilm sicher. Er beherbergt seit sechs Wochen rund 80 der Flüchtlinge in seiner St.-Pauli-Kirche. „Die Männer werden jetzt als kriminelle Täter dargestellt, dabei sind sie Opfer der EU-Politik“, sagt er.

Die Männer waren nach ihrer Flucht aus Libyen zunächst in Italien untergekommen. Dort hatten ihnen die Behörden Anfang des Jahres Papiere ausgestellt, mit denen sie nach Nordeuropa weiterreisten. Doch hier haben sie keinen Anspruch auf Arbeit oder medizinische Versorgung.

Die Reisedokumente der Männer sind in der Regel auf drei Monate begrenzt. Doch dass sie gerade jetzt abgelaufen sein sollen, kann die Innenbehörde nicht bestätigen. Laut deren Sprecher, Frank Reschreiter, lägen ihr bisher gar keine Personaldokumente vor. Schon die genaue Anzahl der Flüchtlinge kenne die Behörde nicht: Während sie die Gruppe auf 150 Personen schätze, geht etwa die Gewerkschaft Ver.di von rund 300 Betroffenen aus.

Eine Möglichkeit, wie die Journalisten trotz dieser mauen Datenlage auf die angeblich abgelaufenen Pässe gekommen sind, ist ein Stichtag im Frühling: Vor drei Monaten, am 15. April, ist das städtische Winternotprogramm abgelaufen, in dem viele der afrikanischen Flüchtlinge bis dahin untergekommen waren. 1.000 zusätzliche Plätze in den öffentlichen Notunterkünften fielen damit weg – damit saß ein Großteil der Männer plötzlich auf der Straße. Doch mit ihrem Bleiberecht hat dies nichts zu tun.

Mittlerweile kümmern sich verschiedene gemeinnützige Einrichtungen um die Afrikaner, darunter auch eine Moscheegemeinde in Glinde. Deren Finanzvorstand, Mustafa Tepe, sagt: „Allein in unserer Moschee sind zwölf Männer untergebracht, von denen einige eine Aufenthaltsgenehmigung bis Januar 2014 haben.“ Er kritisiert: „Es ist eine Frechheit, wie verallgemeinernd in den Medien über die Flüchtlinge berichtet wird.“

Doch in der öffentlichen Wahrnehmung hat sich der Vorwurf verfestigt – Afrikaner, die in Hamburg bleiben, gelten nun als illegal und machen sich scheinbar strafbar. Christiane Schneider von der Linksfraktion in der Bürgerschaft befürchtet deshalb nun verstärkte Personenkontrollen in der Stadt: „Es könnte sein, dass Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe nun auf Verdacht kontrolliert werden“, sagt sie.

Diese Bedenken versucht die Innenbehörde zu zerstreuen: „Die Flüchtlinge müssen ermutigt werden, den Kontakt zu den Behörden zu suchen“, sagt Innenbehördensprecher Reschreiter. Dort würden sie eine unabhängige Rechtsberatung erhalten und könnten über ihre Bleibeperspektive aufgeklärt werden. „Eine Einzelfallprüfung ist unabdingbar – kollektive Lösungen kann es nicht geben“, sagt er. Ausgeschlossen sei damit sowohl eine gemeinsame Abschiebung, wie auch eine Aufenthaltsgenehmigung für alle Flüchtlinge aus humanitären Gründen.

Doch die Flüchtlinge fordern diese gemeinsame Lösung. Sie berufen sich dabei auf das deutsche Aufenthaltsgesetz. Danach könnten Ausländergruppen aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen ein Bleiberecht bekommen, sagt Schneider.

Verstärkten Personenkontrollen hätten sie bisher noch nicht wahrgenommen, sagen Pastor Wilms und Moschee-Vorstand Tepe. „Wir befürchten aber, dass es dazu kommt“, sagt Wilms. Denn die Kriegsflüchtlinge aus Libyen haben keinen zentralen Aufenthaltsort, sie leben in und um Hamburg verteilt. Während die Stadt den Schutzraum der religiösen Räume respektiere, seien sie etwa in der S-Bahn vor Kontrollen nicht sicher. Eines ist sicher: Illegal – dieses Stigma haftet ihnen nun an.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • L
    Libyen

    Vor Kontrollen in der SBahn ist doch niemand sicher...also vor Fahrkartenkontrollen. Ansonsten handelt es sich nicht um Libyer -sondern um Afrikaner, die dort gearbeitet hatten und deren Arbeitsplätze nun nicht mehr existieren.

  • "Doch die Flüchtlinge fordern diese gemeinsame Lösung."

     

     

     

    Ich kenne kein anderes Land, in dem selbsternannte Flüchtlinge derartiges "fordern", was nichts anderes heißt, dass die Verwaltung zu einem Gesetzesbruch aufgefordert wird, da das Gesetz eine Einzelfallprüfung vorschreibt.

     

     

     

    Es ist nicht einzusehen, warum ein Libyer, der nur in Deutschland ist, weil er sich bessere Erwerbschancen als in Italien / Libyen erhofft, derartige "Forderungen" stellen sollte. M.E. stellen sich Leute, die "Forderungen" aufstellen, den eigenen Abschiebegrund aus. Da gibt es nichts zu "fordern".