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Archiv-Artikel

Flott für Europa

Vom Jungbauern zum landwirtschaftlichen Unternehmer? In der Lüneburger Heide will ein Kurs junge Landwirte für den Lobbyismus rüsten. Mit der Frage: Was würde James Bond in Ihrer Situation tun?

VON OLIVER SCHULZ

Hendrik Lübben hat einen romantischen Stil. Aber das weiß er noch nicht. An einem frühen Sonntagnachmittag sitzt er mit neun Kollegen und drei Kolleginnen im Seminarraum der Heimvolksschule von Barendorf in der Lüneburger Heide und wartet auf seine Verwandlung von einem Jungbauern in einen Jungunternehmer.

Vollziehen wird dieses Transformation Martina Obermeyer. Seit 22 Jahren verpasst die ehemalige Psychotherapeutin mit dem schwarzen Zweiteiler und der stockgeraden Haltung ihrer Klientel die korrekte Etikette und das passende Outfit – dem Manager ebenso wie der kindergeplagten Hausfrau. Oder, wie heute, dem Landwirt.

Das gute Dutzend Milchproduzenten, Schweinezüchterinnen, Geflügelhalter und Ackerbäuerinnen ist zum ersten Block des „Dritten Studienkurses für Nachwuchskräfte im landwirtschaftlichen Ehrenamt“ der Landesarbeitsgemeinschaft Junger Landwirte Niedersachsen (LAG) zusammengekommen, um sich zu bäuerlichen Lobbyisten ausbilden zu lassen. Die Teilnehmer der landwirtschaftlichen Kaderschmiede bilden die Speerspitze deutscher Jungbauern. Sie haben studiert oder sind zumindest gut ausgebildet. Ihre Höfe sind groß, ihre Grundhaltung ist bodenständig und – was neuere Entwicklungen im landwirtschaftlichen Bereich betrifft –konventionell. Ökologische Land- oder subventionierte Energiewirtschaft steht nicht auf ihrer Agenda.

Die meisten engagieren sich bereits im Junglandwirteverband oder in der Landjugend. Das Seminar soll sie noch weiter bringen. Nicht nur auf dem Hof sollen sie in Zukunft glänzen, sondern auch in Bauernverband oder Genossenschaft, in der Kommunalpolitik sowie auf dem europäischen Parkett.

Funktionäre werden hier ausgebildet. Agrarindustrielle. Der Weg in diese Zukunft führt zurück in die Manieren der alten Schule. Im ersten Wochenendblock bekommen die Kämpfer für bäuerliche Interessen zunächst einmal eine zweitägige Einführung in den schönen Schein des guten Aussehens und des guten Benehmens – am Beispiel James Bonds. Bislang trägt der Nachwuchs der deutschen Bauernlobby größtenteils Sweatshirt und Trainingsjacke, Jeans und Cordhose. Und sein Auftreten passt nicht recht zur Umgebung im Saal des ehemaligen Gutshauses – einem buchenholzgetäfelten Raum mit barockgelben Wänden und weißem Stuck.

Mit seinem eleganten beigen Jackett und seinem sorgfältig gestylten Haar sticht Hendrik Lübben in puncto Eleganz ein wenig heraus. Überhaupt entspricht er kaum dem gängigen Klischee eines Bauern – aber trifft das vielleicht ohnehin nicht mehr zu? Der Milchviehhalter aus Nordenham in Niedersachsen ist 25 Jahre alt, ledig, schlank und schlaksig. Seine weichen Bewegungen gleichen die kantigen Gesichtszüge aus. Lübben hat Landwirt gelernt und zwei Jahre die Fachschule besucht. In dritter Generation führt er jetzt gemeinsam mit Vater und Mutter den Hof. 120 Milchkühe gehören zum Betrieb, 87 Hektar Grünland und 13 Hektar Ackerfläche. Trotz gesunkener Subventionen für die Milchproduktion ist der Hof in den vergangenen drei Jahrzehnten auf das Vierfache gewachsen.

Die Anforderungen an die Milchbauern steigen immens“, sagt Lübben. Der moderne Landwirt sei vor allem ein Geschäftsmann. „Optimales Betriebsmanagement ist entscheidend.“ Sein Kollege Stefan Teepker, Schweinezüchter aus dem westniedersächsischen Handrup, stimmt zu. „Spitzenleistungen sind gefragt. Und um eine Hightech-Landwirtschaft kommen wir nicht herum.“

Stilberaterin Obermeyer wirft CD-Spieler und Diaprojektor an: Zur 007-Titelmusik manifestiert sich Sean Connery in seiner Rolle als britischer Geheimagent mit der obligatorischen Gespielin auf der Leinwand. „Was gefällt Ihnen an Bond besonders gut?“, fragt Obermeyer. „Martini“, antwortet Henrik Lübben und lächelt gewinnend. „Schnelle Autos“, sagt Stefan Teepker, „Souveränität“, „schicke Anzüge“ und „hübsche Frauen“ ergänzen die anderen. Die drei Damen sagen nichts – wie auch? Sich mit Bonds fragwürdigen Geschlechterverhältnissen zu identifizieren, scheint wenig erfolgversprechend für jemand, der eine selbstbewusste Jungunternehmerin werden will. Und das Bond-Girl? Im Ursula-Andress-Bikini wird sich wohl kaum ein Stall ausmisten oder eine Ortsbürgermeisterwahl gewinnen lassen. Oder vielleicht gerade?

„Guter Stil, wie Bond ihn verkörpert, kommt von Herzen“, erklärt die resolute Dozentin. „Wenn Sie unsicher sind, was Umgangsformen angeht, stellen Sie sich immer die Frage: Was würde 007 in dieser Situation tun?“

Aber so einfach lässt sich seelenvolle Manierlichkeit dann doch nicht vermitteln. Um die Teilnehmer auf das folgende „stilvolle Abendessen im Roten Salon, Abendgarderobe“ vorzubereiten, setzt Obermeyer, deren Karriere als Stilberaterin nach eigenen Angaben auf der noblen Ferieninsel Sylt begann, zu einem verbalen Parforceritt über die elementaren Details des Benimms an. Sie doziert über die rechte Form der Begrüßung, den gesellschaftlichen Lobpreis des Weibes und streut in die uralten Klischees von Männern und Frauen noch ein paar nationale Stereotype, wie zum Beispiel den Unterschied zwischen deutschen und italienischen Gatten. („Der Deutsche wäscht vor dem Empfang sein Auto, der Italiener steckt der Gattin 200 Euro für ein neues Kleid zu.“) Sie lässt die Teilnehmer den „toten Fisch in der Hand“ fühlen und führt Thomas Gottschalk anhand eines entlarvenden Dias als ungestümen Frauenhandsabberer vor. Dann wechselt sie zum Thema Smalltalk: Das unverbindliche Plaudern falle nicht nur dem friesischen Bauern schwer. Entscheidend sei die Themenwahl: „Sprechen Sie nie über Terrorismus, Krankheit und Politik.“ Letzteres dürfte ein bisschen schwer werden, wenn man die Jungbauern wirklich für den Lobbyismus rüsten will.

Beim folgenden „stilvollen Abendessen im roten Salon, Abendgarderobe“ beweist Hendrik Lübben, dass er im sinnfreien Schwatz aus dem Stegreif gar nicht so schlecht ist. Aufmerksam lässt er seine Tischnachbarin Platz nehmen. Angeregt unterhält er sich mit den Kollegen über Wetter und Reisepläne, während Krabbencocktail von Kürbissuppe und Kürbissuppe von Entenbrust und Rotkohl abgelöst wird und die leise Musik aus dem CD-Spieler von Telemann zu Schostakowitsch wechselt. Ungehemmt plaudert er mit den Freizeitjägern in der Runde über sein Hobby Improvisationstheater. Lübbens schwarzer Dreiteiler sitzt perfekt über dem weinroten Hemd.

Doch am nächsten Morgen, an dem alle wieder „Räuberzivil“ – Obermeyers Begriff für Turnschuhe und Jeans – tragen, erfährt Lübben, dass er einiges falsch gemacht hat. Im Wintergarten des Anwesens, das einst im Besitz des Großvaters von Udo Jürgens drei Bauernhöfe umfasste und heute unter der Trägerschaft der Landvolkverbände steht, lässt er gemeinsam mit drei weiteren Jungbauern die persönliche Farb- und Stilberatung über sich ergehen. Dozentin Obermeyer hat einen Spiegel auf einer Staffelei befestigt. Das blasse Herbstlicht fällt durch die hohen Sprossenfenster auf Lübbens bleiche Haut. „Sie sind ein typisch norddeutscher Sommertyp“, konstatiert die Stilberaterin. Keiner widerspricht. Dann hält Obermeyer routiniert einen Farbrahmen nach dem anderen unter Lübbens kräftiges Kinn und lässt ihn erst in den Spiegel und dann in die Konterfeis seiner Kollegen gucken. „Diese Augen haben Kraft, aber sie wirken nur mit den richtigen Farben“, erklärt sie. Die falsche Farbkombination irritiere das Gegenüber. Sie könne einen Menschen geradezu lächerlich und inkompetent erscheinen lassen. „Das ist besonders in geschäftlichen Verhandlungen äußerst unvorteilhaft.“

Nach zehn Minuten konzentrierten Taxierens verschiedener Farbrahmen auf der breiten Brust des Milchviehhalters ruft sie begeistert aus: „Camel, Olivgrün und Braun! Das sind die Farben, die Herrn Lübben stehen.“ Der Jungbauer schluckt, dass sein Adamsapfel hüpft. Was, bitte sehr, hat er gestern Abend noch getragen? „Einen schwarzen Anzug“, sagt Obermeyer mit triumphierendem Unterton. „Wie verkleidet wirkte er darin, wie ein kleiner Junge!“ Aber die Farbe, sagt sie beschwichtigend, sei nicht allein entscheidend. „Auch auf den Stil kommt es an.“

Nun steckt die fachkundige Manierenmamsell eine Tafel mit Zeichnungen von fünf männlichen Prototypen auf die Staffelei: jugendlich, klassisch, dramatisch („dafür ist Gerhard Schröder das Paradebeispiel“), romantisch und natürlich. Aber die angehenden Landwirte im Ehrenamt tun sich schwer, ihren Kollegen zu kategorisieren – und stimmen doch alle kurz entschlossen zu, als Obermeyer Lübben ihn als „romantisch“ identifiziert. „Eine Frau erkennt das sofort, zum Beispiel an seinem markanten Gesicht.“ Lübben lächelt breit und gefühlvoll. Keine Frage, die Stilberaterin kann sich nicht getäuscht haben.

Dann fährt sie fort, die Garderobe des jungen Milchproduzenten gnadenlos zu zerpflücken. Gar nicht so schlecht sei das, was er jetzt als „Casual Wear“ trage: weißes Jacket, beigegestreiftes Hemd. „Aber Längsstreifen machen Ihr Gesicht noch länger“, warnt sie. „Haben Sie das allein eingekauft?“ „Nein, mit meiner Freundin.“ Obermeyer lächelt wissend. Beim Herrenausstatter, am Nachmittag in der nahen Kreisstadt Lüneburg, wird sie die einzige weibliche Beratung sein. Doch vorher muss Lübben noch referieren.

Bei der rhetorischen Übung sollen die Teilnehmer lernen, sich in ein komplexes Thema einzuarbeiten und das Wesentliche darzustellen. Lübbens Thema ist der EU-Agrarhaushalt – eine Materie, so trocken, dass sie dem gerade als Charmeur Geouteten so wenig steht wie dem Sommertyp der schwarze Anzug. Aber das gleicht der Laienschauspieler mit Witz aus: „Meine Damen und Herren, es freut mich, euch zu meinem Vortrag begrüßen zu dürfen. Eigentlich ist der EU-Haushalt so komplex, dass man ihn gar nicht in einem kurzen Referat behandeln kann.“ Doch genau das macht er dann: Er wirft Tabellen über Finanzsystem und Rechnungshof an die Wand, fordert das Publikum auf, nachzufragen, wenn Begriffe unklar sind. Allerdings stolpert er dann mehrfach selbst über das sperrige Wort „Institution“ und gesteht: „Dabei habe ich so lange geübt, um das richtig auszusprechen.“

Lübbens Kollegen referieren über Freihandel und Landwirtschaft, WTO- und EU-Institutionen und die Geschichte der EU-Agrarpolitik – auch sie mit ein paar Pannen. Die Inhalte scheinen hierbei keine Probleme zu bereiten. Die Präsentation schon. Lübben wie einige andere Teilnehmer räumen am Ende ein, nicht ordentlich vorbereitet gewesen zu sein. „Es reicht nicht, nur die Unterlagen mitzunehmen, man muss auch das eigentliche Vortragen üben.“

Die anschließende Kritik an der EU-Agrarpolitik geht hingegen deutlich flüssiger. Obwohl es die Reduzierung staatliche Zuwendungen ist, die seinen Betrieb zu Veränderungen zwingt, moniert Lübben die „starken Regulierungen durch den Staat und die EU. Die Zeit, die ich im Büro verbringe, nimmt vor allem zu, weil ich immer mehr für die Behörden dokumentieren muss.“

Dennoch kann sich Lübben nicht vorstellen, die Wirtschaftsweise seines Betriebes umzustellen, Nischen zu suchen wie Direktvermarktung oder Tourismus oder gar auf den ökologischen Landbau umzustellen. Ganz zu schweigen von der Idee, vom Landwirt zum Energiewirt zu werden: „Auch die vielpropagierte Energiewirtschaft wird subventioniert. Wenn ich jetzt darauf setze, woher soll ich wissen, dass ich damit in 30 Jahren noch gut fahre?“

Das Festhalten an der Tradition zeichnet diese deutschen Bauern aus. Dazu soll jetzt noch das dynamische Image kommen. Dabei soll der Kurs – der bislang einzige seiner Art in Deutschland – helfen. Übergeordnetes Ziel sei, so Berndt Tietjen, sich für die Entwicklung des ländlichen Raums einzusetzen. „Wir wollen eine Elite junger Erwachsener identifizieren und qualifizieren“, sagt der Seminarleiter und LAG-Vorsitzende. Diese Elite soll dann eine Lobby bilden, eine Gruppe, die landwirtschaftliche Interessen fördert.

Das Land verändere sich ebenso rasant wie der Beruf des Bauern. „Wir bekommen immer mehr persönliche Verantwortung, werden auf Dauer nicht mit Subventionen rechnen können. Der Bauer wird zum Unternehmer, zum Manager“, sagt Tietjen. Diesem veränderten Berufsbild müsse auch in der Öffentlichkeitsarbeit Rechnung getragen werden. Und dazu gehört ein glattes Auftreten à la McKinsey-Berater?

Nicht dass es besonders Landwirten am perfekten Auftreten mangele, lenkt Tietjen ein: „Es ist völlig klar, dass sich die Teilnehmer auch so in der Öffentlichkeit bewegen können, aber gesellschaftliche Umgangsformen werden in allen Bereichen immer wichtiger.“ Die optische Metamorphose sei nur ein Teil des Programms. Management ist ebenso essenziell für das Seminarprogramm. Die GAP-Reformen sowie die Agenda 2000, mit denen die Interventionspreise drastisch gesenkt und durch Einkommensbeihilfen ersetzt wurden, werden behandelt, die Diskussion über die Umstellung von Betriebs- auf Flächenzuschüsse.

Am Nachmittag ist Zeit, sich neu einzukleiden. Lübben hat sich einen neuen Anzug gekauft. „Ich habe mich gewundert, wie schlecht Schwarz mir steht.“ Nach einer gründlichen Suche an der Seite von Stilberaterin Obermeyer steht der Milchbauer in einem neuen Dreiteiler, braun mit feinen Streifen, vor dem Spiegel des Herrenausstatters. Erwachsen sieht er aus, kompetent und charmant. Wie ein junger Manager.

„Bauern sollen nicht länger konservativ erscheinen“, sagt der LAG-Vorsitzende Berndt Tietjen. Damit meint er vor allem die Stereotype von sonntäglichen Frühschoppen und Jagdausflügen der Jungbauern. „Wir wollen ein zeitgemäßes Berufsbild nach außen vermitteln.“ Nicht mehr Besitzstandswahrung, sondern Zukunftsmusik.

OLIVER SCHULZ, Jahrgang 1968, ist freier Autor und lebt in Reinbek bei Hamburg