: Fischer gewinnt wider Willen
■ Bundesverwaltungsgericht weist Klage gegen Siemens-Plutoniumfabrik in Hanau ab
Berlin (taz) – Der Siemens-Konzern hat gegen ein siebenjähriges Mädchen in Hanau gewonnen. Es nützt ihm nur nicht viel. Gestern hat das Bundesverwaltungsgericht die Klage der Clara Diez gegen den Bau einer Fabrik für Plutonium-Uran- Mischoxid-Brennelemente (MOX) in Hanau abgewiesen. Die atomrechtliche Genehmigungsbehörde, so das Gericht, hätte dieser Klage nicht nachgeben dürfen. Die befürchteten Wechselwirkungen zwischen den Bauarbeiten am neuen MOX-Werk und der älteren Plutoniumfabrik, die Siemens auf dem Hanauer Werksgelände betreibt, hätten nicht von vorneherein abschließend bis ins Detail geprüft werden können. Das sei aber auch nicht nötig, die Genehmigung dürfe auch dann erteilt werden, wenn die Bauarbeiten grundsätzlich sicher ausgeführt werden könnten. Nur im Genehmigungsverfahren selbst hätten Betroffene Mitspracherechte, nicht aber während des Baus einer genehmigten Anlage. Damit hob das Gericht ein Urteil des hessischen Verwaltungsgerichtshofes vom Juli 1993 auf.
Elmar Diez, Stadtverordneter in Hanau, der im Namen seiner Tochter das Siemens-Projekt angefochten hatte, glaubt, daß mit diesem Urteil Bürgerrechte weiter eingeschränkt werden. Er befürchtet, daß nach dieser Gerichtsentscheidung ähnliche Klagen ebenfalls abgewiesen werden, ohne daß die Gerichte auf die jeweils umstrittene Gefahr eingehen müssen.
Die Genehmigungen, die noch von der CDU/FDP-Landesregierung erteilt worden waren, beziehen sich auf Errichtung und Betrieb der Anlage. Sie waren schon vor dem gestrigen Spruch der letzten Instanz sofort vollziehbar. Hessens grüner Umweltminister Fischer, formal Beklagter, politisch aber der Unterlegene in diesem Rechtsstreit, sagte, er werde sich der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts fügen, hoffe aber auf eine Änderung des Atomgesetzes.
Mit dem Bau der neuen MOX-Anlage war 1987 begonnen worden, bisher sind dort eine Milliarde Mark verbaut worden. Jährlich rund 120 Tonnen Plutonium sollten nach den ursprünglichen Plänen verarbeitet werden. Davon ist schon lange keine Rede mehr. Die ältere MOX-Fabrik, die Siemens in Hanau betreibt, ist 1991 nach etlichen Pannen stillgelegt worden. In diesem Jahr verkündete der Konzern, er habe kein Interesse mehr, die schwer kontaminierten Maschinen wieder in Betrieb zu nehmen. MOX-Mischelemente können inzwischen billiger im Ausland hergestellt werden, zudem dürften in Deutschland bald die Kunden für die strahlende Ware fehlen: Der Branchenführer der Stromkonzerne, die Veba-Tochter PreussenElektra, verhandelt seit einiger Zeit mit der Betreiberin der französischen Wiederaufbereitungsanlage von La Hague über den Ausstieg aus dem Plutoniumkreislauf. Nach den Verträgen, die auch mit Großbritannien geschlossen wurden, müssen aber noch etwa 40 Tonnen Plutonium nach Deutschland zurückgebracht werden. Ein Teil davon könnte in MOX-Brennelementen weiterverarbeitet werden. Das in diesem Jahr geänderte Atomgesetz sieht aber auch die sogenannte „direkte Endlagerung“ als rechtsgültigen Entsorgungsweg vor. Susanne Krispin/ Niklaus Hablützel
Seiten 6 und 10
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen