: Fischer, die den Meeresboden pflügen
Die eine UNO-Organisation fordert ein Verbot der Tiefseefischerei, die andere blockiert den Beschluss
BERLIN taz ■ Die Netze der modernen Fischereiflotten wirken auf dem Boden der Ozeane wie Pflüge. Tonnenschwere und etliche Meter große Metallplatten stellen sich in der Strömung auf und halten die „Grundstellnetze“ offen. Der Meeresboden wird durch diese „Scherbretter“ regelrecht abrasiert und eingeebnet, berichtet die internationale Schutzvereinigung „Deep Sea Conservation Coalition“. Die meisten Fische und Bodenlebewesen sind danach tot. Und 98 Prozent der Korallen nicht mehr vorhanden.
Diese Form der Jagd auf wertvollen Speisefisch in bis zu 2.000 Meter Meerestiefe soll eigentlich verboten werden. So hat es die Vertragsstaatenkonferenz der Biodiversitätskonvention (CBD) im Februar 2004 empfohlen. Doch das Moratorium scheitert aktuell an den Interessen der elf Tiefseefischerei betreibenden Staaten. Sechs davon sind innerhalb der EU zu finden: Vor allem Spanien und Portugal boykottieren die Entscheidung. Aber auch Lettland, Frankreich, Irland und Finnland sträuben sich. Island spielt den Wortführer der Fangnationen.
Seit Mitte Oktober debattieren internationale Fischereiexperten in Luxemburg im Rahmen der alljährlichen UN-Generalversammlung über ein Fangverbot. Das Ergebnis der Versammlung wird am 16. November erwartet, ein Moratorium wird es aber aller Wahrscheinlichkeit nach nicht geben.
Drei Viertel der kommerziell genutzten küstennahen Fischbestände sind überfischt, die Goldgrube Tiefsee wollen die Fänger deshalb nicht verlieren. Die unterseeischen Oasen liegen zumeist in dem Bereich außerhalb der 200-Seemeilen-Zone und damit auch außerhalb nationaler Gerichtsbarkeiten. Daher sind die Küstennationen machtlos.
Dabei bringt die Brutal-Fischerei nur einen kurzen, wenn auch hohen Ertrag. Wenn Flora und Fauna am Meeresboden zerstört sind, verschwinden auch die Tiefseefische, denen die Fangflotten nachstellen.
Der lokale Bestand ist nach wenigen Fängen restlos ausgebeutet. Die riesigen Schwärme, die die Fische zur Laichzeit bilden, lassen sich mit Echolot leicht aufspüren. Ihre perfekte Anpassung an die extreme Umgebung impliziert auch eine sehr späte Geschlechtsreife von bis zu 50 Jahren und nur wenigen Nachkommen, die allerdings ein hohes Alter erreichen. Viel zu wenig ist über die Reproduktionsbiologie bekannt. Wissenschaftler plädieren inzwischen dafür, Tiefseefische als eine „nicht erneuerbare“ Ressource anzusehen, da eine nachhaltige Bewirtschaftung unmöglich ist. Die Schwärme gehen komplett ins Netz, partielles Entfernen ist in dieser Tiefe nicht möglich. Trotzdem ziehen die Fangflotten weiter, von Berg zu Berg und Riff zu Riff. Was übrig bleibt, ist die gähnende Öde der Wüste. Kaltwasser-Korallenriffe, die Jahrtausende brauchen, ehe sie zu einem schützenden Habitat und Nahrungsgrund herangewachsen sind, werden ebenso zerstört wie Seeberge, wo es durch spezielle Strömungsmuster zu Nährstoff- und Lebensformakkumulation kommt.
„Unzählige Arten, die auf diesem Wege mit rasender Geschwindigkeit ausgerottet werden, hat noch nie ein Wissenschaftlerauge erblickt“, sagt Thilo Maack, Meeresexperte von Greenpeace. Auf dem erst einen Prozent erforschter Tiefsee wurden bereits 1.000 neue Arten von Bodenfischen entdeckt.
STEFANIE WERNER